die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 370
Autor Spike Milligan
Buchbesprechung
Titel Adolf Hitler – My Part in his Downfall
Sendeinfo 1971.07.??/BBC German Service Kulturkaleidoskop

‘Adolf Hitler und mein Anteil an seinem Untergang’ – dies ist der Titel eines soeben erschienenen Buches, das den Ahnungslosen glauben machen könnte, es handele sich um die Memoiren eines bisher bescheiden im Schatten der Weltgeschichte verborgenen Helden des letzten Krieges. Spike Milligan, der Autor, ist freilich in England nicht nur kein Unbekannter, sondern ein durch Funk, Fernsehen und literarische Ergüsse berühmt gewordener Markenartikel für jenes typisch angelsächsische Gebräu aus kuriosem Witz, Skurilität, surrealen Phantastereien und sinnig-unsinnigen Albernheiten. “Spike Milligan”, so heißt es im Klappentext, “wartete 25 Jahre, bis er dieses Buch schrieb. Er hielt es für ratsam, zunächst den professionellen Kriegsberichterstattern Gelegenheit zu geben, in ihren Erinnerungsbüchern alles zu sagen, was über den Zweiten Weltkrieg gesagt werden kann, bevor er – Spike Milligan – mit seinem Meisterwerk an die Öffentlichkeit treten würde”. Wie der Titel des Buches anzeige, habe dem Verfasser weniger an der Chronologie von Ereignissen gelegen, die dem breiteren Publikum ohnedies vertraut seien, als vielmehr an einer gerechten Würdigung der Rolle, die er selbst bei der Vernichtung der deutschen Wehrmacht und ihres großen Führers gespielt habe. Das späte Erscheinen des Buches sei überdies dem Umstand zuzuschreiben, daß der Autor gerade in der Badewanne saß, als der Krieg überraschend zuende ging, so daß Mr Milligan zunächst gewisse Schwierigkeiten gehabt habe, zwischen Krieg und Frieden zu unterscheiden. Nun aber sei er in der Lage, den ersten Band seiner Trilogie vorzulegen; sie basiere in allen wichtigen Punkten auf wahren Tatsachen, die der Autor nur gelegentlich etwas ausgeschmückt habe.

Es sind ironisch verfremdete Reminiszenzen aus der Froschperspektive des britischen Rekruten, der seinesgleichen kennt und darum nicht begriff, daß man mit einer Armee aus solchen Soldaten in den Krieg zu ziehen wagte, geschweige ihn gewinnen konnte.

Das Buch beginnt, wie es beginnen sollte, nämlich mit der Beschreibung, wie alles begann. September 1939, Kriegsanfang, der Bau von Sandsackpyramiden vor dem elterlichen Wohnhaus, erstes Sirenengeheul (zunächst noch als Pausensignal der nahen Schuhfabrik). Wie jede andere englische Familie bereiten sich die Milligans auf den Ernstfall vor. Onkel Willie zum Beispiel stellt kleine Holzpilze her und schickt sie an Luftmarschall Harris mit der freundlichen Empfehlung, sie über den Deutschen abzuwerfen, um ihnen darzutun, daß Englands Handwerkskunst auch noch im Krieg floriere. Der kleine Bruder des Autors entwirft gigantische Kriegsmaschinen. Aber Spike kann sich vor der Einberufung zum Dienst für das Vaterland nicht länger drücken; man macht ihn zum Kanonier. Frage des Feldwebels: “Warum erscheinen Sie hier drei Monate zu spät?“ – Antwort: “Ich werde das aufholen: ich werde auch nachts kämpfen“. Man steckt ihn in Uniform (berichtet S.M.: “Unbeschreiblich erbärmlicher Anblick. Manche Soldaten verließen nie die Kaserne aus Furcht, gesehen zu werden. Andere versteckten sich fast ständig hinter Bäumen“).

Dann die Berichte von Dünkirchen, als erste Begegnung mit der blutigen Wirklichkeit, und für Milligan herrliche Zeiten im Ausbildungslager in Sussex. Hier ist es so schön, daß man den Krieg vergißt; im übrigen hieß es, Weihnachten sei alles vorbei – nun gut, das war in zwölf Wochen. Man nutzt die Zeit, gründet ein Jazz-Quartett, spielt auf zum Tanz. Ein Kamerad schmuggelt ein lebendes Ferkel in die Baracke, das – weiß angemalt mit braunen Tupfen als Cocker Spaniel getarnt – in einem Libby’s-Milchkarton hausen und den phantasievoll ausgedachten Ferkeleien der Fäkalkomiker in tierischer Unschuld beiwohnen muß.

Erst als Montgomery das Kommando über die Truppen erhält, scheint ein Hauch von militärischer Disziplin in die Kasernenlager zu wehen. Doch die ausführliche Beschreibung der Hilflosigkeit von dreißig Soldaten bei dem Versuch, ein Zelt zu verladen, beleuchtet die Effektivität und Schlagkraft der Truppe, dies Sammelsurium kurioser Individualisten, ein sympathischer Haufen unverbesserlicher Zivilisten, der auszog, das Töten zu lernen.

Als Reaktion auf die unnatürlichen Zumutungen erfinden sie Nonsense-Spiele aller Art (später haben Milligan und Peter Sellers ihre erfolgreichen Rundfunkserien aus gleichen Quellen gespeist). Schreibt Milligan: “Diese Narrheiten verhinderten damals, daß wir alle verrückt wurden”.

Kanonier Milligan kann, wie er sagt, den Gedanken ans Töten nicht ertragen, und seine Gedanken tragen nicht so weit wie seine tödlichen Kanonen. Das bewahrt ihm die gute Stimmung in allen Lebenslagen, den frivolen Leichtsinn, den frechen Witz und die kindliche Phantasie, die seine wunderlichen Flausen bis zur närrischen Pointe ausspinnt.

Der erste Band von Spike Milligans anekdotischen Paraphrasen zum Zweiten Weltkrieg endet mit der Verschiffung nach Algier, an die Front, wo es ernst werden soll. Nähme man Milligan beim Wort, dann könnte man hoffen, daß die folgenden Bände halten, was der Autor schon für den ersten versprach. Aber wer wollte, angesichts des amüsant geschriebenen, lustig bebilderten Büchleins, so kleinlich sein?

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