‘Alpha Beta’ heißt das zweite Stück von E. A. Whitehead, das soeben am Royal Court Theatre uraufgeführt wurde, ein dreiviertel Jahr nach der Premiere von ‘The Foursome’ (Das Quartett) im Theatre Upstairs, der experimentierfreudigen Dépendence des Royal Court, von wo es wegen seines großen Erfolgs in ein Theater des Londoner Westends übernommen wurde. Whitehead ist seit dem letzten Sommer als Hausautor des Royal Court Theatre angestellt. Bevor er zu schreiben begann, war er in allen möglichen anderen Berufen tätig, die nichts mit Literatur und Kunst zu tun hatten: als Milchmann, Postbote, Busfahrer und Werbekaufmann. Für sein Erstlingswerk ‘The Foursome’ wurde Whitehead inzwischen als vielversprechendes dramatisches Talent mehrfach ausgezeichnet.
‘Alpha Beta’ ist ein Zweipersonenstück über eine verdorbene Ehe, mehr noch über die Unmöglichkeit der Ehe schlechthin als Institution einer lebenslänglichen Gemeinschaft. In drei, auch für den Zuschauer überaus strapaziösen Akten werden drei Phasen eines Konfliktes vorgeführt, in welchem die Betroffenen vor allem ein singuläres, privates Problem zu sehen scheinen, wo es dem Autor jedoch um die Bezeichnung eines generellen Übels geht: um das Prinzip der Monogamie, das die Gesellschaft als Sittengesetz noch immer für allgemein verbindlich hält, trotz des Elends, der Frustration, der seelischen Verödung, die als direktes Resultat einer im Grunde unmenschlichen Doktrin an den Opfern erkennbar wird.
In diesem Fall wird uns eine Ehe vorgestellt, die vom ersten Augenblick an, da wir die Szene einsehen, als unrettbar verloren gelten muß. Die Enge der katholischen Morallehre, das kleinbürgerlich muffige Milieu wirken erstickend. Die Eheleute leben in einem Gefängnis, das sie freiwillig gewählt haben, weil die von Kirche und Staat verfügten Gesetze jede Alternativlösung als ungesetzlich, übel, verantwortungs- oder gewissenlos verbieten. Fast alle Versuche, aus diesem Gefängnis sich zu befreien, sind zum Scheitern verurteilt, weil es keine Flucht des Einzelnen aus der Gesellschaft, in der er lebt, geben kann, nur die Möglichkeit, die Regeln und Gesetze, welche jene Gesellschaft konstituieren, von Grund auf zu ändern.
Der erste Akt des Stückes spielt im Winter 1962, am 29. Geburtstag des Mannes, der – noch im vollen Gefühl seiner jugendlichen Potenz – die Rolle des Ehemannes und Familienvaters, in die ihn die Heirat gedrängt hat, ablehnt und ohne Rücksicht auf Verluste nur ein Ziel zu verfolgen scheint: mit möglichst vielen Frauen zu schlafen.
Seine in katholischem Geist erzogene Frau dagegen betrachtet ihren Mann als einen ihr gesetzlich zugesprochenen Privatbesitz.
Der zweite Akt zeigt das Verhältnis vier Jahre später: Er glaubt inzwischen, seinen eigenen Weg in die Freiheit entdeckt zu haben, hat sich an den permanenten Seitensprung gewöhnt, die Flucht aus der Ehe, welche durch immer unbarmherziger ausgefochtene Kämpfe für beide Partner zur Hölle geworden ist.
Im dritten Akt, nach weiteren fünf Jahren, leben die Partner getrennt. Er hat beruflich Karriere gemacht, ist vom Arbeiterstand zum Angestellten aufgestiegen, hat sich auch im privaten Bereich neu etabliert und sucht die Scheidung von seiner Frau, um bei einer anderen die sozial akzeptable Rolle spielen zu können, die er früher radikal ablehnte. Er ist zum Opfer einer moralischen Konvention geworden, die das Verhalten der Menschen bis tief ins Unbewußte hinein prädeterminiert.
Unter der Regie von Anthony Page liefern Alber Finney und Rachel Roberts eine überaus eindrucksvolle, grausame Studie von Ehe als einem Zwangsverhältnis, das die Fähigkeit zu Liebe und Glück in den Menschen zerstört.