Das Roundhouse, vormals ein Londoner Straßenbahndepot, wirkt architektonisch wie ein stabiler Zirkus und scheint als Arena für circensische Lustbarkeiten darum besonders geeignet. Ein gigantisches Plakat mit dem überlebensgroßen Bildnis Andy Warhols, an der Außenfront des Roundhouse aufgehängt, wirbt in diesen Tagen für “Andy Warhol’s PORK”, auf deutsch Schweinefleisch, das erste Theaterstück aus der ‘Warhol-Fabrik’, die sich nach Suppendosengemälden, Comic-Strip-Blow-Ups, Filmen und literarischen Ergüssen anderer Art nun auch der Produktion von Bühnenwerken zugewandt hat. Wie bei vielen Produkten, die seinen Namen zum weltweit bekannten Markenartikel gemacht haben, ist Warhol auch an der Herstellung von ‘Andy Warhols SCHWEINEFLEISCH’ nicht allein beteiligt gewesen. Der Text wurde gemeinsam mit Anthony Ingrassia, dem Regisseur der Londoner Aufführung, nach Tonbändern von Gesprächen aufgeschrieben, die im Laufe der letzten Jahre zwischen Mitgliedern der Warhol-Gruppe geführt wurden.
Es sind geschwätzige Monologe banalsten Inhalts, Wortblasen, die den Personen auf der Bühne wie Comic-Strip-Helden vorm Munde stehen; sie reden von Sex, von den Ausscheidungen des Verdauungsapparates und von der verkorksten Kindheit. Über das Verhältnis der auftretenden Figuren zueinander erfährt man kaum mehr, als daß sie der Gruppe zugehören, in welcher jeder die Freiheit hat, seinen verschrobenen Neigungen nachzugeben, sich ungehemmt auszuleben. Es ist ein Sammelsurium von Typen, die so genau wie möglich den mittlerweile gut bekannten Gestalten der Warhol-Gruppe nachgezeichnet sind: Andy, “das silberhaarige Idol des Jet Set”, mit unbeschreiblich gelangweilter Miene im Rollstuhl sitzend, den Telefonapparat griffbereit im Schoß, umgeben von den Seinen; einem aufgetakelten Transvestiten und dessen schönem Beischläfer, einem stumm mit sich selbst beschäftigten, in Ohren und Nase bohrenden Charakterkopf, teils angezogene, teils nackte Jünglinge, naive Puppengesichter weiblichen Geschlechts, fettleibige Damen, Homosexuelle, Exhibitionisten und Masturbierer. Man gibt sich ungeniert wie man fühlt und tut in jeder Weise so, als wäre man ganz unter sich.
Wie das auf den Zuschauer wirkt, beschrieb der Kritiker der Londoner ‘Times’: “Man fühlt sich wie der Außenseiter bei einem Familienfest, der sich endlose Geschichten über Verwandte anhören muß, die er nicht kennt“; “das Ergebnis ist abstoßend narzistisch und hoffnungslos beschränkt“. Die Kenner und Warhol-Verehrer werden diesen Kritiker einen Banausen schimpfen, der nicht begreift, worum es geht, nämlich um “Warhols Vision der klinischen Subjektivität“ (wie es in einem vor kurzem in London veröffentlichten Buch über ‘Andy Warhols Filme und Gemälde’ heißt).
Das oberflächlich-geistlose Geschwätz der vor sich hin monologisierenden Gestalten auf der Bühne, das Fehlen fast jeder Handlung und eine Inszenierung, die man bestenfalls nur dilettantisch nennen kann, ließen eine so unerträgliche Langeweile aufkommen, daß ich noch vor der Pause mehrmals einschlief. Die mimische Begabung des Mannes, der die Rolle des Transvestiten namens Vulva spielte, und der phantastisch bewegliche Busen der aus Warhol-Filmen bekannten Schauspielerin Geri Miller verhalfen mir und dem zweiten Teil des Stückes über die Runden.
Auf der Pressekonferenz vor der Londoner Premiere seines Bühnenerstlings ließ Andy Warhol verlauten, daß er in den letzten Jahren das Material für weitere 89 Stücke gesammelt habe, die er demnächst zur Aufführung bringen werde. Man wird diese Drohung ernst nehmen müssen, wenn sich die Ansicht unter den Leuten durchsetzt, die der Verfasser des neuen Warhol-Buches vertritt: “Die Menschen, die er (A.W.) erwählt, wie die Bilder, die er wählt, sind relevant, wichtig und bedeutungsvoll wegen der wesentlichen Richtigkeit seiner Wahl”.
Doch mit der Kritik sollte man vorsichtig sein, denn (Zitat): “Andy Warhol ist ein Rätsel, und dies auch weil seine Kunst und seine Persönlichkeit mit den herkömmlichen Methoden der Kritik und des Verstehens schwer zu begreifen sind”.