die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 16
Autor Mustapha Matura
Theater
Titel As Time Goes By
Ensemble/Spielort Theatre Upstairs/London
Inszenierung/Regie Roland Rees
Uraufführung
Sendeinfo 1971.09.24/SWF/Kultur aktuell

Man hat Rassenprobleme in Großbritannien, wie anderswo in der Welt, Probleme des Zusammenlebens zwischen Menschen mit verschiedener Hautfarbe, verschiedener Kultur, verschiedenen Lebensgewohnheiten. Als die britischen Kolonisatoren sich aus den überseeischen Besitzungen zurückziehen mußten, folgte ihnen ein Strom von Einwanderern, die der Armut daheim entrinnen wollten und mit Hilfe ihres britischen Passes Einlaß ins englische Mutterland begehrten, wo sie ein angenehmeres Leben zu finden hofften, vor allem Arbeit und Brot und für ihre Familien ein Dach über dem Kopf. Sie nahmen die niedersten Arbeiten an, die die Europäer selbst verschmähten; so entstand das Heer der farbigen Bus- und U-Bahn-Schaffner, Müllkutscher, Straßenkehrer und Hilfsarbeiter. Doch sie fanden nicht alle das Glück, das sie suchten. Steigende Preise, Wohnungsnot, wachsende Arbeitslosigkeit in Großbritannien und die damit verbundenen sozialen Probleme betreffen insbesondere die Schwarzen.

Die zahlenmäßig sehr starke Gruppe der von den ‘Westindies’, den karibischen Inseln, stammenden Immigranten besteht aus einem eigenartigen Gemisch afrikanisch-asiatisch-europäischer Rassen verschieden dunkler Hautfarbe. Sie alle sprechen den unverkennbaren englischen Slang ihrer Heimat.

Mustapha Matura ist einer von ihnen. Er wurde in Trinidad geboren und kam vor zehn Jahren nach England. Sein erstes abendfüllendes Stück wird zurzeit in London im Theatre Upstairs des Royal Court vorgestellt. ‘As Time Goes By’ (Kommt Zeit, kommt Rat) ist auch das erste Theaterstück überhaupt, das die Welt der westindischen Einwanderer nicht bloß aus der Sicht der anderen, sondern von innen her beleuchtet. Matura beschreibt, was er selbst lebt und erfahren hat, und er bekennt, die härteste Schule, durch die er gegangen, sei die Aufgabe gewesen, im fremden Land aus eigener Kraft zu überleben.

‘As Time Goes By’ ist eine stellenweise überaus spaßige, intelligent geschriebene ‘ernste Komödie’, dargestellt von schwarzen Schauspielern, westindischen Einwanderern, unter der Regie von Roland Rees. Im Mittelpunkt des Stückes steht der schwarze Scharlatan Ram. Er haust mit seiner Frau in einem Londoner Armenviertel und lebt davon, die Probleme anderer Leute, die sein Freund Alfred als eine Art geistiger Zuhälter ihm schickt, zu lösen. Einem armen Teufel ist die Frau weggerannt, zum eigenen Bruder: Ram soll sie zurückgewinnen. Ein anderer (just jener Bruder) will alles geben, um die ihm zugelaufene Frau wieder loszuwerden. Einen Vater von 14 Kindern bedrückt die Schande, daß einer seiner Söhne ein ‘skinhead’ ist, ein flegelhaft rabiater Taugenichts: Ram soll raten und helfen. Seinen weißen Freunden sorgt Ram für Nachschub in Hasch.

Ram, der eitle, geschäftig untätige, ruhelose ‘Swami’ ist, wie seine armseligen Klienten, eine traurige Gestalt, tragisch und komisch zugleich. Während er die Probleme der anderen löst, geht er den eigenen aus dem Weg. Seine ewig keifende, zänkische Frau schreit schließlich die Wahrheit heraus: “Es ist zu kalt hier, keiner mag mich, man nennt uns dreckig und behandelt uns wie Dreck; wir sollen ihre Drecksarbeit tun, damit sie sich überlegen fühlen können: Trinidad ist nicht viel, weiß Gott, aber der Himmel gegen das, was wir hier haben und sind”.

Mustapha Matura sieht seine Welt kritisch, liebevoll und mit Humor im Blick auf die menschlichen Schwächen seiner Landsleute, mit einem erstaunlichen Sinn für Proportionen, und mit satirischer Schärfe gegen die hohle Gebärde, die geistige Leere jener jungen Engländer, die in der affektierten Welt des Popgeschwafels aufgehen.

’As Time Goes By’ bepiegelt einen kleinen Ausschnitt britischer Wirklichkeit.

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