die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 62
Autor Athol Fugard
Theater
Titel Sizwe Bansi Is Dead
Ensemble/Spielort Theatre Upstairs/London
Inszenierung/Regie Athol Fugard
Hauptdarsteller John Kani/Winston Nshtona
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1973.09.21/SWF Kultur aktuell

“In der südafrikanischen Republik leben 15 Millionen Afrikaner, 4 Millionen Weiße, zwei Millionen Mischlinge und eine halbe Million Asiaten. Die 15 Millionen Afrikaner genießen nur in den sogenannten ‘Homelands’, das sind ein Siebtel der Gesamtfläche, gewisse begrenzte Rechte“. Diese Daten und andere Dokumente, die als vergrößerte Fotokopien im Aufgang zum Theatre Upstairs des Royal Court hängen, verweisen auf den sozialen Hintergrund des Stückes, das Athol Fugard mit zwei südafrikanischen Schauspielern, die es in London vorstellen, erarbeitet hat.

Es ist die Geschichte eines Bantunegers, der in die Großstadt Port Elisabeth kam, um dort Arbeit zu finden, und dabei im Stacheldrahtverhau der unmenschlichen Gesetze und Vorschriften hängen bleibt. Ein Stammesbruder, den er um Rat und Hilfe aufsucht, empfiehlt ihm, nach Hause zurückzukehren, da er ohne offizielle Aufenthaltsgenehmigung keine Überlebenschance habe. Sein ‘Dompass’, der Ausweis, den jeder Schwarze stets bei sich führen muß – eines der brutalsten und wirksamsten Mittel zur Unterdrückung der Schwarzen, die die Apartheid-Politik erfand – dieser ‘Dompass’ schreibt vor, wo einer wohnen, ob er Arbeit aufnehmen darf und welche sonstigen Rechte er hat. Die Nummer seines Passes wird wichtiger als alles andere in der Welt.

Sizwe Bansi hat nicht den richtigen ‘Dompass’, der ihm erlaubt, in Port Elizabeth zu bleiben; also muß Sizwe Bansi ‘sterben’.

Der Zufall kommt ihnen zu Hilfe. Er und sein Freund stoßen nachts auf die Leiche eines schwarzen Mannes, der erschlagen im Straßengraben liegt. Mit seinem Ausweis, der den richtigen Stempel trägt, übernimmt Sizwe Bansi den Namen und die Geschichte des Toten, die dessen Referenzbuch belegt.

‘Sizwe Bansi Is Dead’ ist ein raffiniert gebautes Dreipersonenstück für zwei Darsteller. Es beginnt mit dem langen Monolog eines cleveren Schwarzen, der wort- und gestenreich über die skandalösen Arbeitsbedingungen in einer Autofabrik berichtet, in welcher er sieben Jahre schuften mußte, bis zu jenem Tag, an dem die Vorgesetzten seiner Bosse aus Amerika angereist kamen und er beobachtete, wie seine weißen Masters nun ihren Vorgesetzten gegenüber selbst so kriecherisch unterwürfig begegneten, wie sie es bislang ihren schwarzen Arbeitssklaven abverlangt hatten.

Styles, der pfiffige Bantu, durchschaut das Spiel und läßt sich als selbstständiger Fotograf nieder, ein Privileg, das ihm nach endlos erscheinendem Marsch durch die Instanzen schließlich gewährt wird. Seine Fotos verkauft er als Bilder aus Träumen, die für die armen Teufel niemals wahr werden, weil sie schwarzer Hautfarbe sind.

Als Robert, ein Kunde, erscheint und von Styles ins illusionäre Land des Lächelns entführt wird, erfolgt im Stück der Übergang zum Anfang der Geschichte vom Scheintod des Sizwe Bansi, der ein anderer werden mußte, um für eine Weile, bis der große Schwindel auffliegt, ein beinahe menschliches Leben führen zu können.

‘Sizwe Bansi Is Dead’ ist eine flammende Anklage gegen die Verbrechen der Apartheid-Politik. So nimmt es nicht wunder, daß die Polizei die Aufführung des Stückes in Port Elizabeth verbot. Daß es dann doch an einem anderen Ort, wennzwar nur vor Schwarzen, gespielt werden durfte und Fugards Truppe sogar die Erlaubnis erhielt, damit in London zu gastieren, ist dagegen eines der Wunder, die in Diktaturen selten geschehen oder nie.

Die Londoner Premiere, bei welcher der Autor und Regisseur Athol Fugard zum ersten Mal eine Aufführung seines Stückes vor Zuschauern miterlebte, wurde für ihn und die Darsteller zu einem überwältigenden Erfolg.

Der Kritiker der ‘Times’ sprach nachher von einem “wundervollen Stück Theater“, der ’Guardian’ von der “hinreißenden südafrikanischen Inszenierung“, “vorgestellt mit einer Intensität und einem Flair, die alle Worte übersteigen“: “Ich wüßte”, schrieb Martin Walker, “nichts, was ich in London damit messen könnte“.

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