die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1992
Text # 308
Autor Priti Paintal/Richard Fawkes
Oper
Titel Biko
Ensemble/Spielort Riverside Studios/London
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1992.06.12/RIAS/BR5 aktuell 1992.06.16/DS Kultur

‘King’, das vor drei Jahren in London uraufgeführte Musical über den amerikanischen Bürgerrechtskämpfer Martin Luther King, kostete dreieinhalb Millionen Pfund, über zehn Millionen Mark, hätte also einige Jahre laufen müssen, bevor seine ‘backers’ oder ‘angels’ auf ihre Kosten, geschweige denn zu den Gewinnen kommen konnten, von denen die ‘Engel’ träumen, wenn sie – beileibe nicht aus philanthropischer Laune, sondern um damit Geld zu machen – in kommerzielle Theaterprojekte investieren. Doch ‘King’ erwies sich als Flop und wurde nach sechs Wochen abgesetzt.

Ein Musical über Nelson Mandela ist uns bislang erspart geblieben. Dafür haben wir jetzt eine neue Oper ‘Biko’ über den 1977 ermordeten südafrikanischen Bürgerrechtsführer. Sie kam mit geringem finanziellen Aufwand zustande, wendet sich an ein anderes Publikum und will künstlerisch ernst genommen werden.

‘Biko’ ist das Produkt einer Zusammenarbeit zwischen dem Repertoiretheater Birmingham, in dem die Oper Ende Mai uraufgeführt wurde, und einer Abteilung der Royal Opera Covent Garden, die sich ‘Garden Venture’ nennt und sich der Entwicklung neuer Formen des Musiktheaters widmet. Die Londoner Premiere von ‘Biko’ in den Riverside Studios war zugleich die Eröffnungsvorstellung des 1988 erstmals veranstalteten Londoner Opernfestivals, das diesmal einer stattlichen Reihe kleiner Opernensembles des In- und Auslands die Möglichkeit gibt, sich mit ihren neuesten Inszenierungen in der britischen Hauptstadt vorzustellen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Royal Opera wurde eine Frau mit der Komposition einer Oper betraut. Priti Paintal ist indischer Abstammung. Sie war vor drei Jahren mit ihrer Komposition ‘Survival Song’ aufgefallen, die sie ebenfalls mit Richard Fawkes als Librettist im Auftrag der Royal Opera schrieb.

Die Komponistin gesteht, daß sie die Aufgabe, eine abendfüllende Oper über Steve Biko zu schreiben, sich zunächst nicht zugetraut habe. Doch Bikos Persönlichkeit und das, was sie als Inderin an Gandhi erinnerte, der gewaltlose Kampf der Schwarzen in Südafrika um einfache Anerkennung ihrer Menschenwürde, habe sie unwiderstehlich angezogen. Als ‘Schwarze’ habe sie auch in England eine zwar unterschwellige, doch ebenso ausgeprägte Form von Rassismus am eigenen Leib erfahren, wodurch sie in der Lage sei, im Unterschied zu Richard Attenborough, der in seinem Biko-Film ‘Cry Freedom’ den weißen Journalisten Donald Woods, auf dessen Buch der Film basierte, zur Hauptrolle gemacht habe, den Stoff aus der Perspektive der Unterdrückten darzustellen.

Die Oper hat keine eigentliche Handlung. Sie bezieht sich auf Ereignisse aus Bikos letzten Lebensjahren: seine politische Arbeit in der von ihm geführten Bewegung ‘Black Consciousness’ (wörtlich ‘Schwarzes Bewußtsein’); die erste Begegnung mit Woods, der Biko bis dahin für einen “schwarzen Rassisten” gehalten hatte, doch bald zu einem seiner engsten Freunde und Verbündeten wird; bis zu Bikos letzter Verhaftung, seiner Folterung und Ermordung.

Der über Biko in den letzten Lebensjahren verhängte Bann – ein absolutes Schreib- und Redeverbot, verbunden mit der Auflage, auch im privaten Bereich außer seiner Familie nie mehr als eine weitere Person bei sich zu haben – gab den Autoren der Oper die Möglichkeit, die Zahl der auftretenden Personen auf ein Minimum zu begrenzen und auf den obligatorischen Chor zu verzichten. Die sieben Sänger-Darsteller der Hauptrollen werden zu Prototypen, so der Polizeiminister zum offiziellen Repräsentanten des Apartheid-Regimes und Donald Woods zum Prototyp des weißen Liberalen. Thomas, eine erfundene Figur, zweifelt am Sinne der von Biko vertretenen Philosophie der Gewaltlosigkeit und wünscht sich eine bewaffnete Revolution. Die beiden namenlosen Polizisten, sadistisch der eine, der andere ein blind-gehorsamer Befehlsempfänger, repräsentieren die ausführenden Organe des Unrechtssystems.

Wie kaum anders zu erwarten, werden die historischen Vorgänge so verkürzt und vereinfacht dargestellt, daß sie trivial erscheinen und keine Vorstellung geben können vom Ausmaß der Verbrechen und der wirklichen Bedeutung des Mannes, den Donald Woods den “größten Menschen, dem ich je begegnete“ nennt, Bantu Stephen Biko, dem dieses Werk gewidmet ist.

Die wie ein statutarisches Singspiel ohne eigentliches Bühnenbild aufgeführte Kammeroper hat trotz ihres dramatischen Inhalts so gut wie keine Dramatik und wird ihrem Gegenstand einfach nicht gerecht. Und die Musik bewegt sich melodisch voran, als fahre man in gemächlichem Tempo durch lange, sehr enge, sich ab und zu verzweigende Korridore, die immer wieder zum selben Ausgangspunkt zurückzuführen scheinen, vorbei an zahllosen, kaum unterscheidbaren Türen, wieder und wieder in beharrlich minimalistischer Monotonie.

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