die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 61
Autor David Storey
Theater
Titel Cromwell
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Anthony Page
Hauptdarsteller Alber Finney/Brian Cox
Uraufführung
Sendeinfo 1973.08.15/DLF Köln

David Storeys neues Bühnenwerk ‘Cromwell’ ist kein Stück über die historische Figur des Titels. Der Name Cromwell hat symbolische Bedeutung; er steht für die Zeit des englischen Bürgerkriegs, der über die Insel zog, als in Mitteleuropa der Dreißigjährige tobte. Cromwell ist die Erinnerung an die Zeit der Glaubenskriege, hier allgemeiner noch die Beschwörung eines politischen Konflikts sowie der Folgen und Auswüchse dieses Konflikts. Bühnenbild, Kostüme und Requisiten verweisen zwar auf die historische Cromwell-Zeit, doch das Stück spielt in einer unbestimmten, relativ nahen Vergangenheit, mit der uns heute noch vieles verbindet. Versteckte Anachronismen und die im Verlauf des Stückes immer deutlicher werdende Abstraktion von historisch Fixiertem bis hin zur Überhöhung in metaphysische Bereiche verstärken den Eindruck, daß dem Autor nicht so sehr an einem Nachvollzug von geschichtlich Gewesenem, Vergangenem, als an der Gegenwart gelegen ist und an den Visionen von einer besseren Zukunft.

Vier Männer, zwei Iren, ein Waliser und ein Schotte, treffen sich in der Nähe eines verlassenen Hofes. Sie warten auf einen Soldatenwerber, der sie zu ihrer Truppe führen soll. Ringsum herrscht Krieg, Felder und Wälder sind verwüstet. Die Bewohner der Gegend sind vor den plündernden Truppen geflohen.

Für die gegeneinander aufgebrachten Bürger ist es einerlei, zu welcher Seite die Soldaten gehören, die ihnen das Vieh und die Ernte rauben, ihre Felder verwüsten, Häuser und Scheunen anzünden. Die Leidtragenden lernen am schnellsten, daß ideologische Differenzen weniger wichtig sind als Frieden, Ordnung und häusliches Glück.

Die Männer geraten in einen Hinterhalt feindlicher Truppen; Sie werden gefangen, verhört und gefoltert. Die beiden Iren, ebenso gewitzt wie feige, laufen zur anderen Seite über und werden dafür später von ihrem schottischen Kollegen, der entfliehen konnte, als Verräter verhaftet. Der Schotte Logan glaubt, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Doch das große Gemetzel, die endlosen Märsche, Opfer und Entbehrungen haben auch ihn erschöpft. Er hat genug vom Krieg und sehnt sich nach einem Ort, wo Ruhe und Frieden herrschen. Mit einem Mädchen, dem einzigen Überlebenden einer Familie, die ihren Hof verlassen mußte, kehrt er zurück, um das zerstörte Anwesen wieder aufzubauen. Die Welt scheint wieder in Ordnung. Doch Revolutionäre, die sich in den Wäldern versteckt hielten, werden zur neuen Bedrohung. Weil man ihnen Herberge bot, machen Cromwells Soldaten Haus und Hof erneut dem Erdboden gleich. Der Wahnsinn der Zerstörungswut bringt Logan fast um den Verstand. Von einem Fährmann läßt er sich und die Seinen übersetzen in ein Land, das jenseits des Flusses im Dunkel liegt. Hinter der Finsternis, hoffen sie, ist vielleicht Licht.

‘Cromwell’ ist ein Stück gegen den Krieg, gegen die sinnlose Zerstörung dessen, was der Mensch vor allem anderen schützen sollte: sein Leben, seine Umwelt, sein häusliches Glück.

Storeys Zorn über die Destruktivität im Namen höherer Ideen, die die Vernichtung von Leben und Gut rechtfertigen, richtet sich auch gegen die Revolutionäre, die mit Feuer und Schwert gegen die Unterdrückung der Menschenrechte kämpfen. Ihrer Unvernunft weiß Storey freilich auch nur den Idealismus der bescheidenen Dennoch-Optimisten entgegenzusetzen, die sich nach dem Glück der Idylle sehnen, weil sie aufgehört haben, daran zu glauben, daß es ein allgemeineres Glück, das einer besseren, gerechteren Gesellschaft, geben könne.

In der Verachtung der destruktiven Gewalt, die zu jeder Form von Macht zu gehören scheint, gleicht Storeys Haltung der von Edward Bond, der in seinem ‘Lear’ die Funktionäre des Volksaufstands nach der geglückten Revolution ebenso skrupellos unmenschlich handeln läßt wie die Gewaltherrscher, die sie beseitigten. Während Bonds König jedoch am Ende mit tragischer Gebärde den sinnlosen Heldentod sterben muß, bleibt David Storey pessimistischer und darum realer. Logan geht mit der tieferen Weisheit, daß der wahrhaft Tapfere sein Leben zu erhalten sucht, in eine düstere, ungewisse Zukunft, in der ihm nur noch die kleine Hoffnung leuchtet auf ein bescheidenes privates Glück.

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