die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1988
Text # 231
Autor Howard Barker
Theater
Titel The Last Supper
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Uraufführung
Sendeinfo 1988.03.10/SWF Kultur aktuell/HR/SFB/RIAS/SRG Basel (teilw.) (verschiedene Fassungen)/Nachdruck: Darmstädter Echo

In einem der beiden Prologe, die Howard Barker seinem neuen Stück ‘The Last Supper’ (Das letzte Abendmahl) vorangestellt hat, heißt es: “Ich lade euch ein, an den Nagel zu hängen den erstickenden Mantel der Kommunikation. Und ihr mit dem Schreibzeug in der Hand, laßt euch gesagt sein, das Stück enthält keine Information!“

“Das Theater“, schrieb Barker vor ein paar Jahren, “muß anfangen, sein Publikum ernst zu nehmen. Es muß aufhören, Geschichten zu erzählen, die es versteht“. Nimmt es da Wunder, daß der begabteste, kreativste und radikalste der englischen Bühnendichter auch der verkannteste ist? Howard Barkers Sprache ist die Sprache der Poesie, die Imagination Spielort seiner Stücke. Seine Radikalität ist die des Dichters, der nicht Wirklichkeit nachstellt, sondern sie erfindet.

Halten wir uns also an das, was sich benennen läßt. ‘The Last Supper’, soeben uraufgeführt im Londoner Royal Court Theatre, ist eine szenische Meditation über die biblische Geschichte des letzten Abendmahls. Im Mittelpunkt steht eine moderne Messiasfigur. Llov hat seine Jünger, ein bunter Haufen bizarrer Gestalten, zu einem Abschiedsessen geladen. Zum Kreis der Auserwählten gehören ein Dichter, ein Gelehrter, ein Händler, ein Aristokrat, ein Schreiner, eine Krankenschwester, eine Köchin, eine Prostituierte und drei weitere weibliche Wesen. Llov fühlt, daß seine Macht über die Schar seiner Anhänger nachläßt. Früher sind sie ihm blind gefolgt, haben ihn abgöttisch verehrt; inzwischen hat jeder von ihnen Gründe, den Meister zu tadeln oder ihn zu hassen.

Llov begreift, daß er sich seinen Nimbus und die Ergebenheit seiner Gefolgschaft nur erhalten kann durch den eigenen Tod. “Wenn ich für immer leben will, muß ich sterben“. Mithilfe der zum neuen Gott erhobenen Masse des Volkes, ein Chorus, mit dem er von Zeit zu Zeit Zwiesprache hält, gelingt es Llov, den Prozeß der Entfremdung von seinen Jüngern zu beschleunigen und sie schließlich dazu zu bewegen, ihn umzubringen und, seinem Wunsch entsprechend, zu verspeisen.

Was sich, so abgekürzt dargestellt, anhören muß wie schnödeste Blasphemie, ist – wie immer sonst ein braver Kirchgänger darüber urteilen mag – ein von Anfang bis Ende faszinierendes, dichtes poetisches Gewebe, ein farbiges, nuancenreiches theatralisches Höllenspektakel vor der unsichtbaren Kulisse eines endlosen Krieges, dem die im Hintergrund vorbeibrausenden Soldatenzüge das unentbehrliche Kanonenfutter liefern.

Das Stück besteht aus einer einzigen langen Szene, die durch acht sogenannte Parabeln unterbrochen wird. Diese Parabeln (mit Titeln wie ‘Der ununterdrückbare Optimismus der Demontagetruppe’, ‘Die Schamhaften und die Schamlosen’, ‘Die Tröstungen der Akkumulation’ oder ‘Die flüchtige Erscheinung des Idealisten’) scheinen Reflexionen auf die Lehren des Meisters zu sein, der durch das Kunststück der Transsubstantiation den eigenen Tod überlebt.

Die Inszenierung des Stückes ist das erste Projekt eines neuen Theaterensembles, das sich nur eine Aufgabe gesetzt hat: die Stücke Howard Barkers auf die Bühne zu bringen und einen Darstellungsstil zu entwickeln, der den allzu oft mißverstandenen Werken, ihrer komplexen Gestalt und sprachlichen Schönheit, adäquaten Ausdruck verleiht.

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