Seit über zehn Jahren gehört die Pip Simmons Theatre Group zur Spitze der britischen Theateravantgarde. Was sie vor anderen auszeichnet, ist die Vehemenz des politischen Engagements, Formgefühl, artisches Können und außergewöhnliche Musikalität. Ihre ‘Superman’-Show, mit der die Gruppe 1969 erstmals Schlagzeilen machte, wirkte wie eine Synthese aus mittelalterlichem Moralitätenspiel und Strip-Cartoon. Die Verwendung von Schwellkopfmasken unterstrich den grotesken Bewegungsstil, Rock-Musik und tanzpantomimische Ausdrucksmittel, die emphatische Geste dominierten über den gesprochenen Text. ‘Do It - Szenen von der Revolution’ zeigte die Gruppe bereits auf dem Höhepunkt ihres Könnens. Es war der Aufruf zu einer Revolte gegen Obrigkeit, Kapitalismus und Krieg, gegen Rassismus und Unmenschlichkeit, gegen Polizeiterror und Philisterei – für die Befreiung von allen lustfeindlichen Tabus. ‘The George Jackson Black and White Minstrel Show’ machte die lange Tradition der Ausbeutung der Schwarzen zum zentralen Thema. ‘An die Musik’, die nach ihrem künstlerischen Gehalt bedeutendste Inszenierung der Pip Simmons Theatre Group, war ein erschütterndes Requiem auf die in deutschen Konzentrationslagern ermordeten Juden. ‘Der Traum eines Lächerlichen’ entwarf dagegen, nicht ohne Ironie, ein paradiesisches Jenseits der Angst und Not, die Utopie irdischen Glücks.
Das neue Stück der Pip Simmons Theatre Group ist ein theatralisches Pamphlet zur emotionsgeladenen Atomdebatte. Die Besorgnis der Menschen über die in den letzten Monaten wieder sehr real gewordene Möglichkeit, daß die Rivalität der bis zu den Zähnen bewaffneten Supermächte einen neuen Weltkrieg entfesseln könnte, scheint die Angst vor der nicht minder realen Bedrohung durch die Industrie der sogenannten friedlichen Nutzung von Kernenergie vorübergehend verdrängt zu haben. Der Gedanke, daß Russen und Amerikaner aufeinander schießen und die Verbündeten beider Seiten in die unausdenkbare Katastrophe hineinziehen könnten, scheint vielen heute näher zu liegen als die Möglichkeit, daß das gigantische Energiepotenzial eines Atomkraftwerkes durch menschliches oder technisches Versagen außer Kontrolle geraten und für Hundertausende Tod und Verderben bringen könnte.
‘Towards A Nukleal Future’ (Einer nuklearen Zukunft entgegen) gibt sich zunächst den Anschein einer unparteiischen Dokumentation, bei der die Argumente beider Seiten vorgestellt werden, samt einer ins Karikaturistische übertriebenen Charakterisierung schematisierten Verhaltens. Dies geschieht freilich so, daß die ausschlaggebenden Fakten es dem Publikum denkbar schwer machen, die auf privatwirtschaftlichen Profit gerichteten Bestrebungen der Atomkonzerne gutzuheißen.
Die Pip Simmons Theatre Group hat es seit je verstanden, sich in dem Konflikt zwischen etablierter Macht und revolutionärem Ungehorsam zu engagieren, ohne der Gefahr des Spruchbandtheaters zu erliegen, das über dem missionarischen Eifer die Theatralisierung der Idee, für die es wirbt, zu vergessen pflegt und dem Publikum Kritik an den Verhältnissen, in denen es lebt, als freudlose Pflichtaufgabe nahelegt, statt sie als einen Akt der sinnlichen und geistigen Lust zu empfehlen, welche als solche bereits die revolutionäre Kraft enthält, die Berge der repressiv regulierenden Gewalt versetzen könnte.
‘Toward A Nuklear Future’ beginnt und endet mit einem Tableau: Vermummte Gestalten kauern leblos im fahlen Kerzenschein eines bunkerartigen Verlieses. Ein Bild vom Ende, Epilog zur apokalyptischen Katastrophe, die uns ins Haus steht, wenn wir von der drohenden Gefahr nichts wissen wollen und wie Biedermann den Brandstiftern erlauben, sich bei uns einzunisten, bis es zu spät ist.
Pip Simmons baut den Publicity-Manager der Atomindustrie vor uns auf und gibt ihm Gelegenheit, sich mit dem ganzen Kodex beschönigender Phrasen über die Segnungen der Kernenergie sowie die Harmlosigkeit ihrer Aufbereitung selbst darzustellen, um dann die Argumente durch szenische Kontrapunkte, die Vergegenwärtigung von Tatbeständen, ad absurdum zu führen. Karen Silkwood, die 27-jährige Angestellte der Kerr-McGee-Plutonium-Fabrik bei Oklahoma City, die im November 1974 auf dem Weg zu einem Treffen mit einem Reporter der ‘New York Times’ getötet wurde, weil sie die Fakten über Unfälle in ihrem Betrieb veröffentlichen wollte, ist zum Vorbild der anti-atomaren Widerstandskämpfer geworden. Die kaltblütige Vernichtung von Beweismaterial samt der Person, die es bekannt machen wollte, wird zum gespenstischen Höhepunkt der Aufführung.
Während Publicity-Manager und Atomgegner noch mit emotionalen Argumenten über die Beinahe-Katastrophe Harisburg und den fortgesetzten Betrug der Öffentlichkeit sich streiten, wird die Bühne von einer Gruppe beängstigend echt aussehender Terroristen besetzt, die hier, als letzte unberechenbare Größe, an die Möglichkeit gemahnen, wie relativ leicht es unter den gegebenen Umständen wäre, sich in den Besitz von ein paar Kilo Plutonium zu bringen, eine Bombe zu basteln und mit ihrem Einsatz zu drohen.
Atomenergie als das Spiel mit dem Feuer. Die Gegner unversöhnlich, ein Kampf auf Leben und Tod. Gewinner? Beim Halbwertstand der Begegnung: Hoffnungslos. Wir gehen unaufhaltsam der nuklearen Zukunft entgegen. Die Schlacht scheint verloren. Oder – ?