Der Autor Salman Rushdie, der wegen des von Ajatollah Khomeini ausgegebenen Mordbefehls nun schon seit sieben Monaten in einem polizeilich bewachten Versteck leben muß, schrieb in seinem Buch ‘Das Lächeln des Jaguars’ über die legendäre Begegnung des Dichters und nicaraguanischen Kulturministers Ernesto Cardenal mit dem Papst anläßlich seines Nicaragua-Besuches: “Cardenal kniete nieder, um den päpstlichen Ring zu küssen, doch Johannes Paul II erhob die Hand und befahl ihm mit drohendem Zeigefinger, sein Verhältnis zur Kirche in Ordnung zu bringen. Der Dichter brach in Tränen aus“.
Nick Darkes soeben von der Royal Shakespeare Company im Londoner Almeida Theatre uraufgeführtes Schauspiel ‘Kissing the Pope’ ist ein neuer mutiger Versuch, durch das Dickicht der von der US-amerikanischen Regierung weltweit verbreiteten Propagandalügen über Nicaragua zu einer wahrheitsgetreueren Bestandsaufnahme des David-und-Goliath-Konflikts vorzudringen und dabei zu zeigen, welche Rolle die christlich-katholische Religion und ihr Oberhirte Papst Johannes Paul II dabei spielen.
“Ich trage immer ein Papstbild bei mir“, erklärt der junge Contra-Krieger Sanchez seinem Gefangenen Emilio, dessen Vater er kurz davor auf Befehl eines sadistischen US-Militärberaters bestialisch zerstückelt hatte. “Ich töte für den Papst“.
Sanchez und Emilio sind noch keine zwanzig Jahre alt. Der von den USA gesteuerte, mit unvorstellbarer Grausamkeit geführte Krieg gegen die nicaraguanische Revolution, die den Diktator Samosa beseitigte, hat die beiden jungen Männer zu Feinden gemacht. Sanchez, dessen eigener Vater und Onkel von Reagens ‘Freiheitskämpfern’ niedergemetzelt wurden, bevor man ihn zwang, die Uniform der Contras zu tragen, treibt seinen Gefangenen Emilio nun auf ähnliche Weise durch den Dschungel in die auf honduranischem Gebiet liegenden Ausbildungslager, wo man ihn lehrte, alle Sandinisten seien Bestien, die kleinen Babies die Köpfe abbeißen und die Hoden ihrer gefangenen Gegner als Delikatesse verspeisen. Die zur Ausbildung gehörenden allwöchentlichen Lektionen über Weltpolitik haben ihm zu einem politischen Weltbild verholfen, das vollkommen grotesk, vollkommen unlogisch, doch in all seiner Absurdität auch irrsinnig komisch ist; ein Gewebe von haarsträubenden Horrorstories, die den zu kaltblütigen Killern dressierten Contra-Kriegern zur Rechtfertigung jeder denkbaren Untat werden.
Sanchez ist der einzige Überlebende seines Kommandos, das von Sandinista-Soldaten nach der Ermordung von Emilios Vater gestellt wurde und in der darauf folgenden Schießerei auf der Strecke blieb. In dem fast gleichaltrigen Emilio hofft Sanchez einen Kumpan gefunden zu haben, der ihm durch dick und dünn zur Seite steht. Doch weder seine Einschüchterungsversuche, noch die fast rührenden Gesten, mit denen Sanchez um Emilios Freundschaft wirbt, haben den gewünschten Erfolg. Emilio, der früher selbst ein Wojtila-Foto als kostbaren Besitz bei sich trug, beginnt zu ahnen, daß der Papst in der Tat auf beiden Seiten kämpft.
Zu der unbestreitbaren Verdiensten des Stückes gehört es zu zeigen, daß auch die Soldaten der Killer-Kommandos zu den Opfern eines Konflikts gehören, der mit den Interessen der Nicaraguaner selbst wenig zu tun hat, Opfer eines Krieges, für den es (nach den Worten des amerikanischen Pfarrers John Metcalf) keinen anderen Grund gibt als “die Bedrohung, die von einem guten Beispiel ausgeht und die despotischen und reaktionären Regierungen in anderen Ländern das Fürchten lehrt”.
Im übrigen ist Nick Darkes trotz seines barbarischen Inhalts stellenweise geradezu poetisches Schauspiel ‘Kissing the Pope’ ein aus Empörung und Mitleid gezeugtes Stück Agitprop-Theater, der ehrenwerte Versuch, ein Ungleichgewicht, die propagandistisch verzerrte Darstellung des nicaraguanischen Konflikts, zu beheben durch Aufklärung und den Appell an das Gewissen all derer, die durch Gutgläubigkeit und Ignoranz die uns eingeredeten Vorurteile perpetuieren helfen.
Daß Roger Michells sonst sehr detailreiche, drastisch-realistische Inszenierung den ohnedies offensichtlichen Gegensatz zwischen ‘Guten und Bösen’, Aggressoren und Verteidigern der Demokratie, bei der Charakterisierung der Nebenrollen etwas zu sehr in Schwarz-Weiß-Kontrasten malt, kann hier höchstens (im Sinne des von Günther Anders geprägten Ausdrucks) als “Übertreibung zur Wahrheit hin” nachgesehen werden.