die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1977
Text # 113
Autor David Edgar
Theater
Titel Destiny
Ensemble/Spielort Royal Shakespeare Company/Aldwych Theatre/London
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1977.05.13/WDR/ORF Wien/SRG Basel/Nachdruck: Darmstädter Echo

David Edgars Stück ‘Destiny’ (Schicksal oder Vorsehung) endet mit einem Wort Adolf Hitlers aus dem Jahr der Machtergreifung: “Nur eines hätte unsere Bewegung aufhalten können – unsere Gegner hätten ihre Grundsätze verstehen und mit äußerster Brutalität den Keim der neuen Bewegung zerschmettern müssen“.

Der Ausgang der Londoner Gemeindewahlen am 5. Mai hat dem Stück zur beängstigenden Aktualität verholfen. Die konservative Partei konnte die Anzahl ihrer Sitze im Stadtparlament fast verdoppeln, die neofaschistische Nationale Front – und das ist das eigentlich Erschreckende – gewann in den innerstädtischen Wahlkreisen einen Anteil von durchschnittlich 10 % der abgegebenen Stimmen.

Edgars Schauspiel ‘Destiny’ , das die Royal Shakespeare Company nach einer Aufführungsserie in Stratford nun endlich auch in London vorstellt, muß als eines der bedeutendsten politischen Theaterstücke der letzten Jahre gelten. Edgar warnt vor den Folgen der wachsenden Unzufriedenheit unter der britischen Bevölkerung, die in ihrer Not den Parolen der Rechtsradikalen sich immer aufgeschlossener zeigt. Die neofaschistische Nationale Front ist – wie ihr Vorbild die Nationalsozialistische Partei Deutschlands in der Weimarer Republik – zum Sammelbecken der Unzufriedenen, Rechtlosen und Enttäuschten geworden, eine Bewegung, die sich in einer liberalen Demokratie nicht ohne weiteres im Keim ersticken läßt und darum unmittelbar die Gefahr der demokratischen, sozusagen legalen Abschaffung von Demokratie in sich birgt.

David Edgar macht es plausibel, warum der ehemalige Major, der das Ende des britischen Empires als tiefe Schmach empfindet und den Zerfall der moralischen Werte als Symptom einer schleichenden Krankheit zum nationalen Tode versteht, – warum der kleine Geschäftsmann, den die Machenschaften der Kapitalspekulanten ruiniert haben, – warum der Arbeitslose, der die anderrassigen Immigranten für sein Elend verantwortlich macht, – warum die Empfindsamen und Schwachen, die unter dem Anwachsen von Kriminalität, Sittenlosigkeit und wirtschaftlicher Armut am meisten zu leiden haben, mit vagen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft sich mit jener Minderheit vereinen, die daran glaubt, daß nur ein eisernes Regime das Schicksal des Landes wenden könne.

Seit der Konservative Enoch Powel mit seiner berühmten Rede von 1968, in welcher er ein Blutbad prophezeite, den Rassismus wieder als tolerable Haltung salonfähig machte, die andersrassigen Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien offiziell zu Sündenböcken des nationalen Niedergangs erklärte, darf wieder von der Bande des Blutes als dem einigenden, alle Gegensätze überwindenden Faktor gesprochen werden. Aus dem Kampf der Klassen wird die Idee vom Kampf der Rassen. Das Gespenst einer sogenannten internationalen Verschwörung ist wieder auferstanden von den Toten. Fremdrassige Elemente, allen voran jüdische Großkapitalspekulanten, und die Führer des Weltkommunismus haben ein Komplott geschmiedet zur Unterminierung des nationalen Gefüges. Nur die Idee der internationalen Wiedererweckung kann das Land noch vor dem Verderben bewahren.

Der kleinbürgerliche Geschäftsmann, den man im Stück zum Sekretär der “Nation-Vorwärts-Bewegung” erhebt, wird von seinen Hintermännern für die Rolle des Demagogen gedrillt wie Brechts Arturo Ui. Zu spät erkennt er, daß sie jener Großkonzern, der – gegen entsprechende Konzessionen - sich mit der Nationalen Front verbindet, ihn selbst, den kleinen Antiquitätenhändler, seinerzeit zugrunde richtete.

Die Gemeindewahlen von Taddley, einem fiktiven Ort im nordenglischen Industriegebiet, sind die Plattform, auf dem die Vertreter der politischen Parteien vor ihrer Öffentlichkeit, dem Publikum, paradieren. Sie enden, wie die Wahlen zum Londoner Stadtparlament, mit einem überwältigenden Sieg des konservativen Kandidaten und einem Stimmenanteil der Nationalisten, der sie bestärken muß in dem Glauben, daß die Vorsehung auf ihrer Seite ist.

“Was kann uns jetzt noch aufhalten?“, sagt einer. Arturo Ui sieht sich schon wieder als Gewinner. “Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“, hieß es bei Brecht.

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