die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1994
Text # 342
Ausstellung/ Kulturpolitik
Titel Coping with the Relations
Ensemble/Spielort Goethe Institut London
Sendeinfo 1994.01.24/WDR Krit. Tagebuch/SWF Kultur aktuell/RIAS/DR/BR 1994.01.27/Darmstädter Echo

Als vor vier Jahren im Vorfeld der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR im Osten die Befürchtung laut wurde, daß die bevorstehende Vereinigung nichts anderes als eine Übernahme durch Westdeutschland sein werde, brachte die britische Zeitschrift ‘The Spectator’ als Titelbild und Illustration ihres Leitartikels eine Karikatur von Peter Brookes. Auf der geographischen Skizze von Mitteleuropa erschien die Bundesrepublik verkörpert durch den Kopf von Helmut Kohl, der mit weit aufgerissenem Mund und gierigem Blick nach Osten die kleine DDR verschlingt.

Es ist eine der fünfundsiebzig Karikaturen einer Ausstellung im Londoner Goethe-Institut, die als gemeinsame Veranstaltung mit der Universität Osnabrück, aus deren umfangreicher Sammlung die Blätter stammen, am vergangenen Wochenende vom deutschen Botschafter in Großbritannien eröffnet wurde.

Der Ausstellungstitel ‘Coping with the Relations’ läßt sich nicht direkt ins Deutsche übertragen. Er spielt an auf das Verhältnis der beiden Völker Großbritannien und Deutschland, die bemüht sind, miteinander zurechtzukommen, was ihnen vor allem durch die Erinnerung an zwei furchtbare Kriege, die sie gegeneinander führten, und die daraus erwachsenen Ängste und Vorurteile nicht immer leicht fällt.

Die ausgestellten Karikaturen aus britischen und deutschen Zeitungen von den fünfziger bis zu den neunziger Jahren wirken wie ein Stimmungsbarometer, an dem sich ablesen läßt, wie weit wir es mit der von beiden Seiten gewünschten Verständigung bisher gebracht haben. Im übrigen zeigt es an, wo die neuralgischen Punkte in diesem Verhältnis liegen, was die Briten an uns Deutschen und uns an ihnen jeweils besonders interessiert, beunruhigt, geärgert oder belustigt hat.

Kulturelle Unterschiede, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben und überwiegend unbewußt von Generation zu Generation weitergegeben werden, führen zu unterschiedlichen Denk- und Verhaltensweisen und im Zusammenhang damit zur Entstehung bestimmter Animositäten und Obsessionen. Als Orientierungshilfe bei der Erfassung von Sachverhalten bedienen wir uns des Mittels der Vereinfachung. Nicht nur werden die eigenen Beobachtungen verallgemeinernd zusammengezogen, sondern wir übernehmen auch eine Vielzahl bereits vorgeprägter Denkmuster, ohne sie im einzelnen selbst zu überprüfen. Stereotypen der Beurteilung setzen sich fest, Vorurteile, die gar nicht einmal abwegig sein müssen, aber das Verhältnis zueinander belasten können.

Die gelungene Karikatur ist eine bildliche Darstellung, die mit den Mitteln der Vereinfachung und Übertreibung das Wesentliche eines Sachverhalts, zumindest einen wesentlichen Aspekt der Wahrheit blitzartig erhellt und wie der Ausruf des Kindes im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern eine Situation durchschaubar macht.

Aus den Karikaturen der britischen Zeitungen geht vor allem hervor, in welchem Maße das Verhältnis der Engländer zu den Deutschen noch von Ängsten und Befürchtungen geprägt ist, die mit den beiden Kriegen zu tun haben. Im übrigen spielen sie auf klischeehafte Vorstellungen vom deutschen Nationalcharakter an oder setzen sich selbstkritisch damit auseinander. Die Lieblingsthemen der deutschen im Hinblick auf die Briten sind die Eiserne Lady, die Königsfamilie, Großbritannien und Europa und die Situation in Nordirland. Beide Seiten thematisieren das Verhältnis zueinander.

Anläßlich der Ausstellungseröffnung hatte das Goethe-Institut eine Reihe von prominenten deutschen und britischen Journalisten und Wissenschaftler zu einem Wochenendseminar eingeladen, das sich mit der Frage beschäftigte, ob und in welchem Maße die Medien durch Auswahl und Präsentation der Nachrichten das deutsch-britische Verhältnis beeinflußt haben könnten.

Überraschend war dabei höchstens, wie schnell sich Briten und Deutsche darauf einigen konnten, daß weniger die Medienmacher als die Politiker die Weichen stellen, Stereotypen schaffen oder zu Stimmungswechseln in der Bevölkerung beitragen, die die Medien dann getreulich reflektieren; daß Karikaturen zwar manchmal explosive Wirkung haben und Regierungen ins Wanken bringen können, sie jedoch politische Ereignisse vermutlich kaum direkt beeinflussen; und daß man Stereotypen in ihrer Bedeutung nicht überschätzen, sie nicht nur negativ bewerten sollte, weil sie durch das Moment der Wahrheit, das sie enthalten, auch nützlich seien.

In jedem Fall aber sei es ein Beweis von demokratischer Reife, wenn man gelernt habe, statt aufeinander zu schießen übereinander zu lachen.

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