die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1974
Text # 67
Autor David Rudkin
Theater
Titel Ashes
Ensemble/Spielort Open Space Theatre/London
Inszenierung/Regie Pam Brighton
Uraufführung
Sendeinfo 1974.01.11/ORF Wien 1974.01.12/SWF Kultur aktuell/Nachdruck: Darmstädter Echo

David Rudkins Stück “ Asche“ gibt einen qualvollen detailierten, erschütternden Bericht über die Versuche eines jungen Ehepaares, ein Kind zu bekommen, schließlich eines zu adoptieren, und vergleicht die Vergeblichkeit der verzweifelten Bemühungen, menschliches Leben zu zeugen, zu nähren und zu bewahren, mit der Fruchtlosigkeit, dem Wahnsinn ohne Hoffnung auf ein gutes Ende der selbstzerstörerischen Kämpfe in Nordirland, wo die um ihre Bürgerrechte betrogene katholische Minderheit nur noch an die tödliche Gewalt der Bomben glauben mag und für die Idee des Kampfes gegen zu lang erlittenes Unrecht den eigenen Untergang gewählt zu haben scheint.

Der Bogen ist weit gespannt, und nur dank der rückhaltlosen Ehrlichkeit, des Ernstes, der sensitiven Intelligenz des Autors hält sich die Spannung fast bis zum Ende des Stückes, das ohne Pause zwei quälende Stunden lang dauert, in denen man alle physiologischen Einzelheiten kennenlernt, alles über potenzfördernde Maßnahmen, richtige Unterwäsche, spezielle Duschen, Beischlafregister, Temperaturdiagramme, Positionen, post-coitale Tests, samt der furchterregenden, alle spontanen Gefühle tötenden Ärzteterminologie, die ganze entwürdigende Prozedur einer klinischen Befruchtung.

Die bis zur seelischen Erschöpfung Jahre lang durchgehaltenen Experimente der Eheleute haben schließlich Erfolg; die Frau wird schwanger. Die chemische Unverträglichkeit scheint überwunden. Da treten Komplikationen auf; eine Fehlgeburt und die operative Entfernung des Uterus. Der Kampf ist verloren.

Ein neuer Kampf beginnt: der lange, demütigende Weg durch die behördlichen Instanzen bei der Bewerbung um Adoption eines Kindes. Neue medizinische, psychologische, soziale Untersuchungen, intime Befragungen, Tests, Interviews; monatelanges Bangen, Selbstanklagen, Zweifel, Krisen – und der Ablehnungsbescheid als neue, alle Hoffnungen auf Elternschaft vernichtende Niederlage.

Dann die Reise des Mannes nach Ulster zur Beerdigung eines Onkels, der dort ums Leben kam; die Rückkehr nach England und der Bericht über die Folgen der Greueltaten zwischen den Bürgern einer Stadt, die sich selbst den Garaus macht. Die Einsicht: Wenn Menschen das alles auf sich nehmen, so viel Zeit und Opfer, dann muß etwas furchtbar falsch und verdorben sein. Unrecht schreit zum Himmel.

Verzweiflung über die Sinnlosigkeit des ewigen Mordens. Man muß aufhören damit; es gibt andere Mittel des Kampfes. – Gewalt, hat man ihm erklärt, Gewalt ist unser einziges, letztes Mittel. – Wie lange soll das so weitergehen? – Bis ganz Ulster in Asche liegt.

Der nach England Heimkehrende sieht: Ulster liegt schon in Asche. Ein Bild der Apokalypse.

Das Leben des Mannes erscheint sinnlos. Was er berührt, zerbricht. Schicksalhaft erwähltes Opfer, ein Versager.

An dieser letzten, gefährlichsten Wende des Stückes verliert die bis dahin faszinierende Konstruktion an Glaubhaftigkeit. Der Bogen wird überdehnt, und Sympathie, tiefes Mitgefühl für den Mut, die Ausdauer, das unverschuldete Leid, die rührende Anhänglichkeit und Liebe der Eheleute werden geschwächt durch ein Gefühl von Selbstmitleid, das zwar menschlich nach alldem nur allzu verständlich ist, jedoch nicht mehr das allgemeine Interesse verdient, welches der Autor dem Schicksal der beiden widmet, wohl weil er vieles an dem, was er im Stück dramatisch gestaltete, persönlich erfuhr.

Eine erschütternde, tief bewegende, zum Nachdenken anregende Geschichte, die nur am Ende nicht ganz halten kann, was sie versprach, weil – so scheint es – der Autor zu nah an der Erfahrung war, die er sonst so sympathisch und unaufwendig, untheatralisch mitteilt.

In der behutsamen Inszenierung von Pam Brighton im Londoner Open Space Theatre wurde daraus ein bemerkenswerter Erfolg, den man dem intensiven, ernsten Kammerspiel auch außerhalb Englands wünschen möchte.

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