die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1991
Text # 260
Autor Christoph Hein
Theater
Titel The Round Table (Die Ritter der Tafelrunde)
Ensemble/Spielort Cracked Mirror/Lyric Theatre Hammersmith/London
Inszenierung/Regie Olivia Fuchs
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1991.02.21/DLF/SDR/RIAS 1991.02.27/WDR/Nachdruck: Darmstädter Echo

Acht Tage vor der britischen Erstaufführung des Stückes ‘Die Ritter der Tafelrunde’ von Christoph Hein veröffentlichte die Londoner Zeitung ‘The Guardian’ einen Bericht über ein Gespräch, das ein Mitarbeiter der Zeitung unlängst mit dem in England noch unbekannten Ostberliner Autor führte. Hein hatte ihn darauf hingewiesen, daß sein Stück nicht nur als Metapher für die Verhältnisse in der DDR vor dem Fall der Mauer verstanden, nicht nur im zeitgeschichtlichen Kontext gelesen werden sollte. Gerade dieser Aspekt aber, die Auseinandersetzung mit politischen Realitäten der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart, meinte der Berichterstatter, werde vermutlich das englische Publikum, das an das schnelle Reagieren der Theater auf aktuelle politische Gegebenheiten gewohnt sei, besonders interessieren.

In dem Artikel des ‘Guardian’ wird Christoph Hein als Mann gewürdigt, der den Mut gehabt habe, öffentlich Kritik zu äußern, lange bevor dies ohne größeres Risiko möglich gewesen sei. Auch wenn Hein selbst Mut als literarische Kategorie nicht anerkennen wolle, erlebe man doch gerade, wie das Publikum vor allem nach Autoren verlange, die unter den repressiven Regimes Osteuropas am meisten Mut bewiesen hätten. “Die Aktien für Havel steigen”.

Die Bedeutung des Stückes ‘Die Ritter der Tafelrunde’, das im März 1989 in Dresden uraufgeführt und danach in Ost und West viel gespielt worden ist, liegt wohl insbesondere an der Tatsache, daß es für einen historischen Augenblick eine verblüffend vielseitig deutbare Metapher findet und auf fast prophetische Weise eine bestimmte politische Entwicklung vorauszusagen scheint, ohne – und dies ist wohl das Bemerkenswerteste – ohne dabei zu unterschlagen, wie viel im wahrsten Sinne revolutionäres Potential die ideologische und psychologische Krise, die das Stück darstellt, noch in sich trug, ein Potential, das die Idee als solche, die es zu verwirklichen galt, auch weiterhin am Leben erhalten wird.

Konkreter gesagt, daß die Verwirklichung der sozialistischen Idee mißlang, heißt zunächst einmal nur, daß die bisherigen Versuche, sie Wirklichkeit werden zu lassen, gescheitert sind. Die Suche nach dem Gral, von dem wir nicht wissen können, ob es ihn gibt, bevor wir ihn gefunden haben, wird weitergehen. “Aber wenn der Gral für uns unerreichbar wurde, müssen wir nach anderen, nie gesehenen Wegen suchen, um zu ihm zu gelangen“.

Olivia Fuchs, die Regisseurin und Übersetzerin des Stückes, das unter dem Titel ‘The Round Table’ von der Truppe ‘Cracked Mirror’ im Londoner Lyric Theatre vorgestellt wird, gesteht, daß sie das, was sich als Hoffnung deuten läßt, für ganz besonders wichtig halte.

Christoph Hein nennt sein Stück eine Komödie. Daß die moribunde Tafelrunde, die ewigen Debatten der gealterten Ritter – “verbitterte ‘Hardliners’, skeptische Reformer und hoffnungslos Resignierte” – oder die Streitereien ihrer treulosen Geliebten und Ehefrauen, auch komische Seiten hat, geht in der Londoner Inszenierung leider fast völlig verloren. Olivier Fuchs läßt ihre für die meisten Rollen etwas zu jugendlichen Darsteller mit zerfurchten Stirnen, besonders für englische Verhältnisse allzu germanisch tiefsinnig-grüblerisch agieren. Kein Zweifel, daß der komische und tragische Kampf von Menschen, die verzweifelt auf verschiedenen Wegen ein gemeinsames Ziel verfolgen (jenes berühmte Einfache, das schwer zu machen ist), hier sehr ernst genommen wird.

Der nur scheinbar ambivalente Schluß des Stückes deutet an, daß eine andere, jüngere Generation auf eine zur Zeit vielleicht noch unvorhersehbare Weise selbst angesichts der drohenden ökologischen Katastrophe die Suche nach dem “Höchsten”, “Geheimsten dieser Welt”, nach “Frieden”, “der uns wie ein Märchen erscheint”, wieder aufnehmen wird.

“Es ist kein schlechter Tisch“, meint Artus über das wacklige Möbel, unter dem sich allerlei Unrat der Vergangenheit häuft. ”Ich werde ihn ins Museum schaffen“, erwidert der Sohn. “Es schafft Platz. Luft zum Atmen, Vater“. Beide haben offenbar Angst vor dem Akt der Zerstörung, der nötig ist, bevor die Suche aufs Neue beginnen kann.

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