die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 64
Autor William Shakespeare/Charles Marowitz
Theater
Titel The Shrew
Ensemble/Spielort Open Space Theatre/London
Inszenierung/Regie Charles Marowitz
Hauptdarsteller Thelma Holt
Uraufführung
Sendeinfo 1973.11.02/SWF Kultur aktuell/ORF Wien

‘The Shrew’ nach ‘Der Widerspenstigen Zähmung’ ist die vierte Shakespeare-Bearbeitung, die Charles Marowitz im Open Space Theatre in fünf Jahren herausgebracht hat. Ausgehend von dem Gedanken, den schon der junge Brecht zur Kampfparole machte, daß die Klassizität der Werke ihre angemessene Rezeption verhindere, die traditionelle Aufführung der klassischen Stücke sinnlos geworden sei und eine bloß äußerliche Modernisierung nichts gewinne, war Marowitz den geheiligten Shakespeare-Texten mit bedenkenloser Rigorosität zuleibe gerückt. ‘Hamlet’, ‘Macbeth’ und ‘Othello’ waren gerade noch gut genug als Materialvorlage, deren man sich nach Belieben bedienen durfte. Die Respektlosigkeit vor dem Original erregte kalkuliert Ärgernis, führte aber auch zur Entdeckung neuer Perspektiven, neuer Konstellationen, neuer Motive. Auf das Original kam es nicht mehr an, nur noch auf das Ergebnis der Auseinandersetzung mit ihm.

Die Methode hieß Reduktion. Die Stücke wurden quantitativ und qualitativ geschrumpft. Ganze Handlungskomplexe gingen einfach unter, andere wurden verstärkt, überbetont und frei weiterentwickelt. Das Endprodukt war nicht mehr Shakespeare, sondern stets Marowitz.

Charles Marowitz hat aus der Shakespearschen Komödie von der Zähmung der Widerspenstigen ein Trauerspiel gemacht, in welchem Katharina die Rolle der Frau spielt, die in die Ehe gezwungen wird mit einem Mann, den sie nicht liebt und der sie als persönlichen Besitz betrachtet, über den er absolut verfügen kann.

Die Moral des Stückes wird ins Gegenteil verkehrt: der Widerstand Katharinas und die Prozedur ihrer Unterwerfung, die Demütigung der widerstrebenden Frau und der totale Triumph des Mannes, die bei Shakespeare Anlaß zu spöttischem Gelächter geben sollen, wirken hier alles andere als komisch. Die Vergewaltigung der Frau (die bei Marowitz auch realistisch simuliert wird ) hat wegen ihrer – historisch gesehenen – Unausweichlichkeit, der Unmöglichkeit, dieser entwürdigenden, wesensverändernden Tortur zu entfliehen, tragische Dimensionen.

Von Anfang an ist klar, daß dieser Petruchio, ein kalter berechnender Sadist, es nur auf das Geld des Vaters abgesehen hat (“Ich kam zur reichen Heirat her nach Padua”). Und für Baptistas stattliche Mitgift nimmt er die weniger attraktiven Attribute der Frau, die er sich erhandelt, in Kauf. Er weiß von der Macht, die er als Ehemann über sie haben wird. Mit der erzwungenen Heirat beginnt Katharinas Leidensweg, an dessen Ende sie halb verhungert, gefesselt und in Lumpen, geschunden und seelisch gebrochen vor Petruchio steht, der in der Pose des himmlischen Richters über ihr thront und sie die zutiefst demütigenden Worte des Shakespearschen Schlußmonologs sprechen läßt.

Diese Entwicklung hat innere Logik und Sinn. Auf der Petruchio-Katharina-Ebene folgt Marowitz dem stark verkürzten Originaltext bis aufs Wort. Die Reduktion auf die wenigen in diesem Sinne wesentlichen Sätze, die Direktheit der Reden, die meist auf ein paar kurze Wortwechsel verknappten Dialoge mit wirkungsvollen langen Pausen schaffen bedrohliche Spannung.

Die Szenen zwischen Bianca und Hortensio, die bei Shakespeare auf mehr oder weniger verdeckte Parallelität zur Katharina-Petruchio-Handlung angelegt sind, werden von Marowitz in ein modernes Milieu übersetzt und kontrapunktieren den Leidensweg der Katharina. Die Willkür und Niederträchtigkeit der Eifersuchtsszenen, die Bianca ihrem konzessionsbereiten Verlobten macht, zeigen die andere Seite des Geschlechterkonflikts. Biancas Schikanen und Petruchios Grausamkeiten sind sich von fernher ähnlich. Beim erschütternden Schlußmonolog der gebrochenen Katharina finden sich Bianca und Hortensio zum Hochzeitspaar zusammen, deren Fotoalbumlächeln ein fragwürdiges Eheglück verheißt.

Charles Marowitz hat aus dem heute kaum noch lustigen Shakespearschen Lustspiel von der Zähmung der Widerspenstigen ein aktuelles Theaterstück gemacht, das in der Inszenierung des Open Space Theatre mit Thelma Holt in der Titelrolle ein großer, verdienter Erfolg wurde.

 

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