die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1987
Text # 222
Autor Peter Badejo u.a.
Theater/ Kulturpolitik
Titel New Earth/Project!/You Strike The Woman, You Strike The Rock
Ensemble/Spielort Kufena (Nigeria)/Free Street Theatre (Chicago)/Vusi sizwe Players (Südafrika)
Sendeinfo 1987.07.17/SWF Kultur aktuell/DLF/HR/ORF Wien/SRG Basel 1987.07.25/RIAS 1987.07.30/WDR Budengasse/Nachdruck: Darmstädter Echo

Das vierte London International Festival of Theatre (LIFT) hat drei schwarze Theatertruppen nach England geführt, die so verschieden sind, daß sie kaum mehr als die Hautfarbe ihrer Darsteller miteinander verbindet. Das nigerianische Ensemble Kufena ist dem sogenannten Zentrum zur Erforschung nigerianischer Kultur der AhmaduBello-Universität angeschlossen und versteht sich als experimentelles Theaterlabor zur szenischen Reproduktion kulturwissenschaftlicher Themen. Aus dem Chicagoer Ghetto Caprini Green, einem anderthalb Quadratkilometer großen modernen Wohnkomplex, in dem nicht weniger als 14.000 Menschen auf engstem Raum zusammenleben, kommt die schwarze Laienspielgruppe Free Street Theater. Die südafrikanische Frauentheatertruppe Vusisizwe Players steht in der Tradition des Johannesburger Markttheaters, das seine erfolgreichsten Stücke (wie das berühmte ‘Woza Albert!’) aus der Improvisation der Darsteller entwickelt hat.

Das von dem nigerianischen Tänzer und Choreographen Peter Badejo für das Londoner Festival zusammengestellte Tanzdrama in fünf Teilen ‘New Earth’ (Neue Erde) erzählt ohne Worte durch Tänze und Lieder eine Geschichte, die den Konflikt beleuchtet, der die auf Landwirtschaft angewiesenen Kleinbauern entzweit und zum Zerfall traditioneller Kulturformen geführt hat. Das Stück beginnt – wie jede der alten Fruchtbarkeitszeremonien – mit einem Ritual, durch welches die Götter versöhnlich gestimmt werden sollen, damit sie die Ernte gedeihen lassen. Doch die Männer und Frauen, die die Felder bestellen, sehen sich nicht nur den Kräften der Natur ausgesetzt, sondern auch der Habgier des Menschen. Schwarze Großgrundbesitzer versuchen die Farmer zu enteignen, sich ihrer Äcker zu bemächtigen und sie selbst zu Arbeitssklaven zu machen, die nach der Peitsche ihrer Aufseher tanzen. Das Volk widersetzt sich, doch der Ausgang des Kampfes bleibt ungewiß, solange die Farmer nicht lernen, solidarisch zu handeln.

Dem Chicagoer Free Street Theater und seinen Darstellern sind solche Gedankengänge, die wir als Ansätze der Erkenntnis politisch-sozialer Zusammenhänge verstehen müssen, offenbar fremd. Was uns in Form eines dokumentarischen Musicals unter dem Titel ‘Project!’ mit erheblichem bühnentechnischen Aufwand vorgestellt wird (über sechzig Fernsehmonitoren deuten die käfigartigen Hochhausgebilde des Wohnbezirks an), soll Erfahrungen vom Leben im schwarzen Ghetto Caprini Green vermitteln und ist doch kaum mehr als die Projektion einer traurigen Ignoranz, die nicht wissen will oder wirklich noch nicht begriffen hat, daß Arbeitslosigkeit und Jugendkriminalität nicht zufällig nebeneinander erscheinen, daß Armut nicht durch Gebete und ratloses Warten aus der Welt zu schaffen ist und daß die (hier oft wiederholte) Behauptung, es komme nur darauf an, sich frei zu fühlen, um frei zu sein, nichts ist als ein den Zustand perpetuierender grausamer Selbstbetrug.

Das aus einer Workshop-Reihe entwickelte Stück der südafrikanischen Frauentheatertruppe Vusisizwe Players ‘You Strike The Woman, You Strike The Rock’ (Du schlägst die Frau, du schlägst den Fels) zeigt das im Widerstand gegen ein verbrecherisches Regime geschärfte Bewußtsein derer, die sich nicht länger täuschen lassen. Es erinnert an den August 1956, als die für schwarze erlassenen Paßgesetze auch auf die Frauen ausgedehnt wurden und 20.000 von ihnen zum Sitz der südafrikanischen Regierung zogen, sowie an die Rolle, die seither Frauen schwarzer, brauner und weißer Hautfarbe in dem gemeinsamen Kampf um Menschenrechte und Demokratie in ihrem Lande gespielt haben.

Und wie so oft bei den Aufführungen südafrikanischer Theatergruppen, die in den letzten Jahren im sogenannten Mutterland der Demokratie gastierten, das wirksamer als alle anderen zur Verhinderung der Demokratie in Südafrika beigetragen hat, – wie so oft bei solcher Gelegenheit, finden die komödiantische Begabung der Darsteller, ihre erstaunliche Vitalität, ihr unbändiger Humor, die Entschiedenheit ihres Engagements und die Gelassenheit, mit der sie dem Ende der weißen Herrschaft entgegensehen, den direkten Weg zum Herzen des Publikums, so daß sich die Leute gerührt und begeistert von ihren Plätzen erheben und der Beifall kein Ende nehmen will.

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