‘The Accrington Pals’ ist ein Stück über junge Menschen, die bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs vom Hurra-Patriotismus erfaßt werden, sich als Freiwillige melden, Ehefrauen, Müttern und Geliebten ade sagen, mit Musik und Gesang nach Flandern ziehen und im Granatenhagel zerfetzt auf der Strecke bleiben; ein Stück über die Verschwendung von Menschenleben, das Vertrauen der sogenannten kleinen Leute auf eine Wertordnung, die sie verwundbar macht gegenüber denen, die mit Heldenliedern und patriotischen Sprüchen die Opfer fürs große Schlachten zurüsten; ein Stück über die abscheuliche Lüge vom süßen, ehrenvollen Sterben fürs Vaterland.
“Britische Frauen sagen: Geht!” (nämlich in den Krieg), behauptet das Plakat, das an der Rückwand hoch über der Szene des Warehouse-Theaters hängt und mit der propagandistischen Absicht verrät: die Regierenden wünschen sich, daß es so wäre. ‘Accrington Pals’, das sind die unglückseligen Helden jener Stadt in Lancashire, die sich am Anfang des Krieges den Ruhm erwarb, kleinster Ort Großbritanniens zu sein, der ein ganzes Bataillon von Freiwilligen auf die Beine stellte. Das Stück schildert, wie nach dem Auszug der Helden die Frauen und Mädchen der Stadt ihr Geschick in eigene Hände nehmen, dabei überraschend ein neues Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit entdecken, das ihrem weiblichen Selbstbewußtsein auf die Sprünge hilft, doch auch die Erfahrung unvorstellbarer Schrecken.
Im Vordergrund steht die Geschichte des ungleichen Paares May und Tom, die einander lieben, doch nicht zusammen finden, bevor es zu spät ist. May, ein selbstständig denkendes, resolutes Weibsbild, verweigert sich dem elf Jahre jüngeren Tom, einem sensiblen, künstlerisch begabten Jungen mit idealistischen Träumen von einer Welt, in der das Geld keine Macht mehr über die Menschen hat. Für Eva und Ralph gibt es dagegen keine Grenzen der Liebe. Nach dem Abschied der Männer hilft Eva der Freundin in ihrem kleinen Obst- und Gemüseladen. Meldungen von der Front lassen vermuten, daß die Presse auf Anweisung der Behörden lügt. Als die Frauen zum Rathaus ziehen und verlangen, die Wahrheit zu hören, erfahren sie: das Bataillon der Männer aus Accrington gibt es nicht mehr.
Das zweite Stück von Peter Whelan, das uns die Royal Shakepeare Company im Laufe von anderthalb Jahren in ihrem Londoner Werkraumtheater vorstellt, bestätigt die außergewöhnliche Begabung des Autors für die sensible szenische Darstellung eines ungemein authentisch wirkenden ländlich proletarischen Milieus. “Das Stück wirkt wie die erstaunliche Wiederentdeckung eines verlorenen Manuskripts aus dem Jahre 1916 von einem Dichter mit Erfahrungen aus erster Hand über das, was Frauen während des Ersten Weltkrieges durchmachen mußten”, schrieb John Barber nach der Premiere im ‘Daly Telegraph’. – “Es ist ein reiches poetisches Werk”, hieß es in der ‘Financial Times’. Bill Alexanders herrlich unaufwendige, feine Inszenierung enthält Szenen von überwältigender Schönheit und einfache Gesten, die unvergeßlich bleiben als Ausdruck der Menschlichkeit im Angesicht des Wahnsinns von Krieg.
Wie aus Whelans vorigem Stück ‘Captain Swing’ über den englischen Bauernaufstand von 1830 die Überzeugung sprach, daß jede Form von Gewalt, von wem sie auch ausgehen mag, vom Übel sei, ist die Erinnerung an die siebenhundert ‘Accrington Pals’, von denen nur sieben überlebten, als Appell an die Vernunft des ‘homo sapiens’ zu verstehen, der heute Anstalten trifft, unterm Vorwand des vom Gegner auferlegten Rüstungszwangs sich vollends den Garaus zu machen. Indem das Stück zeigt, wie die Mädchen und Frauen von Accrington lernen, die große Lüge der Staatenlenker zu durchschauen und zu verstehen, daß es zwischen Menschen noch immer ein Oben und Unten gibt, sorgt es dafür, daß auch das Publikum begreift.