die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1988
Text # 229
Autor Athol Fugard
Theater
Titel A Place with the Pigs
Ensemble/Spielort Cottesloe Theatre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Athol Fugard
Hauptdarsteller Jim Broadbent/Linda Bassett
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1988.02.12/SWF Kultur aktuell/DLF/RIAS/HR/SRG Basel 1988.02.19/BR/Nachdruck: Darmstädter Echo

Athol Fugard nennt sein neues Stück ‘A Place with the Pigs’ (Ein Platz bei den Schweinen) im Untertitel “eine persönliche Parabel“. Es erzählt, zeigt, spielt uns eine Geschichte vor, die der Autor als Gleichnis versteht. In einer Regieanmerkung heißt es, Ort der Handlung sei “ein Dorf irgendwo in der Phantasie des Autors“. Das Stück basiert auf einer wahren Begebenheit, der Geschichte eines russischen Deserteurs, der sich 41 Jahre aus Angst vor Bestrafung in einem Schweinestall versteckte. Nähere Einzelheiten des traurigen Falles sind uns nicht bekannt.

Fugard hat sich in die Rolle des Mannes Pawel Nawrotzki versetzt und scheint dabei Ähnlichkeiten mit anderen Formen der Flucht vor Verantwortung entdeckt und (wenn wir gewisse Andeutungen nicht falsch verstehen) in der tragikomischen Rolle seines Protagonisten auch ihm persönlich Vertrautes wiedererkannt zu haben.

Das Stück beginnt mit den Klängen der sowjetischen Nationalhymne, gesungen (sofern dies der richtige Ausdruck ist) von einem Chor grunzender und quiekender Schweine. Pawel steht in der Mitte eines geräumigen Schweinestalls und probt eine Rede, die er auf dem Dorfplatz vor den Genossen und Kameraden halten möchte, bei der Feier zum Jahrestag des Sieges im großen vaterländlichen Krieg . “Ich bin gar nicht tot, wie ihr glaubt“, wird er ihnen sagen,“ich habe mich der Pflicht zur Verteidigung des Vaterlandes feige entzogen, mir dadurch schwerste Schuld aufgeladen, aber mich selbst auch grausam dafür bestraft: mit einer zehnjährigen Gefangenschaft im stinkenden Schweinestall“.

Doch dann kommen ihm Zweifel am Großmut seiner Genossen; er bangt um sein Leben und beschließt, in seinem Versteck zu bleiben und nur seine Frau zur Siegesfeier zu schicken; was die Sache nicht einfacher macht, weil der vermeintlichen Witwe ein ihrem Mannn posthum verliehener Kriegsorden übergeben wird: “Für das größte Opfer“ eines wackeren Sowjetmenschen, der für das Vaterland sein Leben ließ.

Jahre, Jahrzehnte gehen dahin. Einmal verirrt sich ein Schmetterling in seinen Stall und wird, bevor der verzückte Pawel ihn retten kann, von einer schwarzen Sau schmatzend verzehrt. Pawel ersticht das herzlose Ungeheuer. Einmal wagt er sich nachts als Frau verkleidet ins Freie. Doch dem paradiesischen Glück angesichts der Schönheit der Natur folgt der grausame Absturz zurück in die Tiefen seiner Hölle.

Nach 41 Jahren selbstauferlegter Gefangenschaft ist es dann endlich soweit. Der Punkt ist erreicht, an dem der Deserteur, der sich vor dem eigenen Leben versteckte, zusammenbricht und beschließt, wie auf Befehl eines Kommissars, der den Auftrag dazu erteilt, “das Einfache, Nächstliegende, einzig Sinnvolle” ohne weiteren Aufschub jetzt (“Sofort?” – “Sofort!”) wirklich zu tun: Pawel entläßt die von ihm drangsalierten Schweine und dadurch auch sich selbst in die Freiheit.

Fugards dramatische Parabel ‘Ein Platz bei den Schweinen’ ist eine Komödie mit ernsten, mitunter tragischen Untertönen, ein Schauspiel, welches wie andere Stücke des weißen Südafrikaners beinahe nach klassischen Regeln gebaut ist und im Verlauf der vier Szenen – vier Stationen eines Befreiungsprozesses – trotz aller Versuche, das Pathos der Botschaft durch Selbstironie zu unterlaufen, sich immer mehr zum symbolischen Drama weitet, das sich nicht nur, aber auch auf Fugards heimische Verhältnisse beziehen läßt, denen alle seine Stücke gewidmet sind: hier nämlich auf die Realität, daß in einer unfreien Gesellschaft nicht nur die geprügelten armen Schweine, sondern auch deren Herren der Befreiung bedürfen. In Fugards eigenen Worten: “Man hat für sich selbst keine Freiheit gewonnen, solange man andere in Sklaverei gefangen hält“.

In der britischen Erstaufführung des Stückes im Cottesloe Theatre des Nationaltheaters spielen Jim Broadbent und Linda Bassett unter der Regie des Autors mit viel Gefühl und Verstand die tragikomischen Höhen und Tiefen aus, gleichermaßen glaubhaft in den Momenten des ekstatischen Glücks oder der wilden Verzweiflung des Mannes wie der stillen Zuwendung seiner geduldig liebevollen, natürlich pragmatisch handelnden Frau.

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