die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 317
Autor Laurence Collinson
Theater
Titel /One Penny For Israel
Ensemble/Spielort Ben Uri Theatre Group/Almost Free Theatre/London
Uraufführung
Sendeinfo 1978.04/27/SFB Galerie des Theaters 1978.05.13/Darmstädter Echo

Zu den traurigen Erfahrungen der Geschichte gehört die Erkenntnis, daß ein Volk durch furchtbare Zeiten gehen, unsägliches Leid über andere bringen kann oder von anderen erleiden muß, ohne aus der Erinnerung an das Unrecht, das von Menschen über Menschen verhängte Elend, wesentlich zu lernen. Kein Volk der Erde hat über die Jahrhunderte so viel Leid erfahren wie die Juden, berühmter Modellfall rassischer Diskriminierung und nationalistischer Exzesse, bis sie in Israel ihren eigenen Staat begründeten und, zur rigorosen Politik der Selbstbehauptung gedrängt, nicht mehr die Parallele zur eigenen Geschichte erkannten. Moralische Bedenken spielen, selbst in extremen Fällen von Rassendiskriminierung, offenbar keine Rolle. Neben Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland ist Israel heute wichtigster Handelspartner der Südafrikanischen Republik, deren rassistisches Regime sich nur dank der Unterstützung des Auslands an der Macht erhält.

Das zweite Stück einer Uraufführungsserie von Werken bekannter jüdischer Autoren im Londoner Almost Free Theatre, vorgestellt von der neugegründeten Ben Uri Theatre Group, spiegelt den Konflikt, der aus der politischen Entwicklung im Nahen Osten erwachsen ist. ‘One Penny For Israel’ von Laurence Collinson spielt in einer jüdischen Familie von heute in einem Nordlondoner Vorort. Man hat sich zum üblichen Freitagabendessen eingefunden, dem traditionellen Sabbatmahl. Die erwachsene Tochter hat ihren Freund mitgebracht, einen Soziologiestudenten, der ernste Absichten zu haben scheint und der Familie vorgestellt werden soll, doch dabei, nach etwas peinlichen Bemerkungen der Mutter, die die Qualitäten ihrer Tochter als zukünftiger Hausfrau anpreist, von dem 21 Jahre alten Sohn des Hauses über jüdische Glaubensfragen ins Gebet genommen wird.

Markus ist ein militanter Zionist, der den Bewerber um die Hand seiner Schwester schließlich durch eine symbolische Spende für die zionistische Sammelbüchse zur Bejahung israelischer Politik im Nahen Osten veranlassen möchte. Sam, der aufgeklärte, liberal denkende, um Objektivität und gerechten Ausgleich besorgte junge Jude anderen Schlages, dem nationale Unterschiede weniger wichtig erscheinen als soziale Gegensätze, verweigert die symbolische Geste und gefährdet damit, wie wir annehmen müssen, die erwünschte Verbindung mit Tessa.

Collinsons Stück ‘One Penny For Israel’ fehlt die poetische Kraft der grandiosen ‘Irisch-Hebräisch-Stunde’, mit der die Ben Uri Theatre Group die Reihe begann, wie auch die Glaubhaftigkeit der Darstellung. Doch es befragt ein irrationales, auf einer unglückseligen Vermischung religiöser und politischer Faktoren begründetes Verhalten, das für die Zukunft des israelischen Staates wie für die Rolle der Juden in aller Welt früher oder später zum ernsten Problem werden könnte.

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