die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 311
Kulturpolitik
Sendeinfo 1972.11.16/SWF Kultur aktuell/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die British Broadcasting Corporation (BBC) feiert in diesen Tagen ihr 50-jähriges Jubiläum. Es ist ein nationales Ereignis. Rundfunk und Fernsehen strahlen seit Wochen Jubiläumssendungen aus; sie reichen von historischen Rückblicken über die Wiederholung der bedeutendsten Programme eines halben Jahrhunderts bis zu der Fülle von Sonderveranstaltungen, die dem großen Ereignis festlichem Glanz verleihen. Vier verschiedene Ausstellungen wurden eingerichtet, die die Arbeit der BBC von den Anfängen bis heute dokumentarisieren, die ungeheure technische Entwicklung, zu welcher die Ingenieure der BBC maßgeblich beigetragen haben, die film- und fotoartistischen Höhepunkte sowie – in einer Sonderausstellung des Königlichen Kriegsmuseums – die in ihrer Bedeutung gar nicht hoch genug einzuschätzende Rolle, welche die BBC während des Zweiten Weltkriegs spielte, vor allem durch ihre in alle Teile der Welt ausgestrahlten Nachrichtenprogramme und als drahtlose Kommunikation mit allen Gegnern des nationalsozialistischen Regimes.

Das Nationale Filmtheater eröffnete eine Saison der bedeutendsten BBC-Filmprogramme aus den ersten Jahrzehnten des Fernsehens. In der historischen Guildhall fand ein großes Jubiläumsfestbankett statt mit Premierminister Heath, dem Lord Mayor von London und den Präsidenten der Broadcasting Corporation. Das BBC-Symphonie Orchester gab ein Festkonzert in der Royal Albert Hall vor königlichen Ehrengästen. Die Königliche Fernsehgesellschaft veranstaltete einen Jubiläumsball. Und zum Abschluß der Feierlichkeiten am Monatsende wird in der Westminster Abtei eine Ehrentafel für den ersten Direktor der BBC, Lord John Reith, enthüllt.

“In dem kurzen Zeitraum von fünfzig Jahren hat sich die BBC zu einer großen, mächtigen Institution entwickelt, die fast alle Bereiche unseres Lebens berührt. Wir können uns beglückwünschen zu dieser Organisation, die von Menschen geformt wurde mit den höchsten Maßstäben für Wahrhaftigkeit und den Dienst für das allgemeine Wohl“. Mit diesen Worten gratulierte Königin Elisabeth der Jubilarin zum Fünfzigsten.

Gegründet wurde die BBC als Geschäftskonzern der Radioindustrie. Am 14. November 1922, 18:00 Uhr, begann die Gesellschaft mit der ersten Nachrichtensendung die regelmäßige Ausstrahlung eines Rundfunkprogramms. Die Geschichte des britischen Rundfunkwesens spiegelt die Geschichte einer ganzen Epoche mit den Veränderungen der Gesellschaft und ihren Formen der Kommunikation, Freizeitgestaltung und des künstlerischen Ausdrucks. Die Ausstellung ‘Blicke und Klänge’ präsentiert auf einer Vielzahl von facettenartig angeordneten Projektionsflächen und in originalgetreu nachgebildeten Wohnstubenzellen kaleidoskopisch eine Welt von Bildern und Klängen aus Vergangenheit und Gegenwart mit einem Ausblick in die Zukunft.

Als im November 1922 die ersten Nachrichten verlesen wurden, hatten bereits 30.000 Hörer eine Rundfunklizenz erworben; zwei Jahre später waren es schon über eine Million. Die ersten Jahre stehen im Zeichen der Schwierigkeiten – nicht nur technischer Natur, vor allem wegen der gesetzlichen Beschränkung auf bestimmte Sendezeiten, weil Zeitungsverleger, Theater und Sportorganisationen durch den Rundfunk ihre Existenz bedroht sahen.

Der klassische BBC-Akzent der Nachrichtensprecher, der heute allgemein als englische Hochsprache anerkannt ist, entstand durch die Mitarbeiter bedeutender Schriftsteller wie George Bernard Shaw und Rudyard Kipling.

Der Generalstreik von 1926, bei dem sämtliche Zeitungen ausfielen, wurde zur ersten Bewährungsprobe des neuen Mediums. Ende der Dreißigerjahre hatten 80% aller Familien ein Radiogerät. Es war die große Zeit der ‘Big Bands’ und des 1930 gegründeten BBC-Symphonieorchesters. Die erste Weihnachtsansprache von König Georg V (1936) konnte von Millionen Menschen gehört werden. 1936 ist auch das Jahr, in welchem der erste Fernseher auf den Markt kam, zum Preis von 200 Mark an aufwärts.

In den verdunkelten Wohnstuben und Militärkantinen der Vierzigerjahre waren die Sendungen der BBC von beinahe lebenswichtiger Bedeutung. Als sachliche Informationsquelle für die Menschen im In- und Ausland und als Mittel zur Koordinierung der Arbeit in den Widerstandsgruppen der von den Deutschen besetzten Gebieten war der Londoner Rundfunk unentbehrlich. In diesen Jahren stieg die Zahl der Sprachen, in denen die Auslandsdienste der BBC ihre Sendungen ausstrahlten, von zehn auf über vierzig an.

Auch bei der radio- und fernsehtechnischen Entwicklung nach 1945 spielte die BBC eine führende Rolle: sie brachte die erste vollständige Fernsehübertragung Olympischer Spiele, organisierte die internationale Zusammenarbeit der Fernsehanstalten, begann 1954 mit gefilmten Nachrichtenprogrammen im Stil der ‘Wochenschau’, führte 1967 als erster Sender in Europa das Farbfernsehen ein und ermöglichte bei den Olympischen Spielen in Mexiko mit Hilfe eines neuen ‘Convertors’, der die verschiedenen amerikanischen Farbfernsehersysteme vereinheitlichte, die Farbfernsehübertragung der Spiele in alle europäischen Länder.

Das Fernsehprogramm der BBC ist auch heute noch das umfangreichste der Welt. Mit diesem großartigen Register hat die British Broadcasting Corporation heute allen Grund, auf ihre 50-jährige Geschichte stolz zu sein.

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