die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1978
Text # 138
Autor Bertolt Brecht
Theater
Titel Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
Ensemble/Spielort Half Moon Theatre/London
Inszenierung/Regie Simon Callow
Neuinszenierung
Sendeinfo 1978.10.20/DLF/RB

“Der ‘Ui’ ist ein Parabelstück, geschrieben mit der Absicht, den üblichen gefahrvollen Respekt vor den großen Tötern zu zerstören”, heißt es in Brechts Notizen zu seinem Gangsterspektakel ‘Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui’. “Das Stück muß, damit die Vorgänge jene Bedeutung erhalten, die ihnen leider zukommt, im großen Stil dargestellt werden; am besten mit deutlichen Reminiszenzen an das elisabethanische Historientheater ... Jedoch muß reine Travestie natürlich vermieden werden, und auch im Grotesken darf die Atmosphäre des Schauerlichen keinen Augenblick versagen. Nötig ist plastische Darstellung in schnellem Tempo mit übersichtlichen Gruppenbildern im Geschmack der alten Historienmalerei”.

Die neue Aufführung des Stückes im Rahmen der vom Londoner Goethe-Institut organisierten Veranstaltungsreihe ‘Die Siebziger Jahre begegnen den Zwanziger Jahren’ erreicht mit kleinen Mitteln große Wirkungen und kommt, wie ich glaube, Brechts eigener Vorstellung darüber, wie das erst nach seinem Tod uraufgeführte Werk gespielt werden sollte, näher als die meisten Inszenierungen, die ich über die Jahre gesehen habe. In der Erstaufführung des Berliner Ensembles zum Beispiel führte die manieristische Darstellung der Titelfigur zur Überbetonung der grotesken Elemente; die physiognomische Ähnlichkeit der Hauptcharaktere mit den historischen Vorbildern machte die Figuren keineswegs glaubhafter; sie blieben Operettengangster, deren gespreiztes Gebaren man leichten Herzens belachen konnte, weil ihnen jenes Schauerliche, das Brecht für so wichtig hielt, fast gänzlich fehlte.

In der neuen Aufführung des ‘Arturo Ui’ im Half Moon Theatre wird auf äußere Ähnlichkeit der Figuren mit Hitler, Göbbels, Göring, Röhm, Hindenburg oder Dollfuß bewußt verzichtet. Stilisierung hält sich in den Grenzen der sogenannten gestischen Darstellungsweise, die das normale Verhalten realer Charaktere auf ihre typischen Haltungen reduziert, ohne in marionettenhafte Unnatürlichkeit zu verfallen. Und siehe da, das Totschlägermilieu wird glaubhaft; die Mafia-Bande wirkt unmittelbar bedrohlich. Arturo Ui, Ihr Anführer, verkörpert von Simon Callow, bewegt sich mit schweren, schlürfenden Schritten wie ein brutaler Schlächter über die Bühne. Jede seiner Reden steckt voller Drohungen, wobei jedermann weiß, daß hier kein Papiertiger brüllt: dieser Mann meint, was er sagt. Erstmals wird deutlich, daß Uis keineswegs unaufhaltsamer Aufstieg zur Spitze der Macht in den korrupten Verhältnissen, die seinesgleichen gewaltsam anziehen mußten, auch nicht eben ganz ohne weiteres aufgehalten werden konnte; eine interessante Akzentverschiebung, wodurch die deutliche Warnung im Epilog des Stückes, der Schoß sei fruchtbar noch, aus dem das kroch, in einer Zeit, in der die Rechten in aller Welt schon wieder zur großen Mobilmachung blasen, nur noch bedrohlicher wirkt.

Robert Walker, der Regisseur der Aufführung, hat sich von Iona McLeish ein vielseitig verwendbares Spielgerüst aus Metallgittern bauen lassen mit Treppen, Schrägen, Barrieren und einem eisernen Steg, quer über der Szene. Die Sprache der Übersetzung von George Tabori wirkt trotz leichter Stilisierung hart und authentisch. Die Inszenierung ist glänzend arrangiert und voller szenischer Einfälle, die Aufführung hat Tempo und bleibt spannend vom ersten bis zum letzten Augenblick. Das Londoner Goethe-Institut, das bei der Förderung theatralischer Projekte in den letzten Jahren selten gut beraten war, hat mit der neuen ‘Ui’-Inszenierung des Half Moon Theatre endlich einmal voll ins Schwarze getroffen.

 

 

Nach Oben