die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1996
Text # 284
Autor Elfriede Jelinek
Theater
Titel Services (Raststätte)
Ensemble/Spielort Gate Theatre/London
Inszenierung/Regie Annie Siddons
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1996.02.03/DR 1196.02.05/SWF Kultur aktuell/Nachdruck: Darmstädter Echo

Das in einem sechzig Quadratmeter großen Raum im ersten Stock einer verrauchten Westlondoner Kneipe eingerichtete Gate Theatre ist eines der kleinen Studiotheater, die praktisch ohne öffentliche Subventionen arbeiten und darum auf das Wohlwollen privater Gönner angewiesen sind – und auf die Selbstlosigkeit, den Idealismus ihres künstlerischen und technischen Personals, das statt eines Honorars oder Gehalts nur einen kleinen Unkostenzuschuß erhält, der vielleicht gerade ausreicht, um die tägliche U-bahn- oder Busfahrt ins Theater zu bezahlen.

Durch seinen anspruchsvollen Spielplan, die Aufführung von Werken namhafter, doch hierzulande meistens noch unbekannter ausländischer Autoren hat sich das Gate Theatre über die Jahre einen Namen gemacht und gilt heute als eines der interessantesten und wagemutigschen Theater der britischen Hauptstadt. Allein in den letzten fünf Jahren erhielt das Gate Theatre nicht weniger als fünfzehn nationale und internationale Auszeichnungen.

Daß sich unter den gegebenen Umständen überhaupt arbeiten läßt, ist schon mehr als erstaunlich. Daß dabei auch – wie etwa bei der britischen Erstaufführung der Marie-Luise-Fleißer-Stücke vor ein paar Jahren – hin und wieder Inszenierungen zustandekommen, die alles, was sonst auf den Londoner Bühnen zu sehen ist, künstlerisch in den Schatten stellen, grenzt ans Wunderbare.

Die Verdienste des kleinen Theaters sind unbestritten, doch ebenso das Maß seiner Beschränkungen, die je nach Besetzung und Regisseur ein Stück, das auf eine bis ins Detail sorgfältig ausgearbeitete Inszenierung angewiesen ist, trotz bester Absicht zugrunderichten können.

Elfriede Jelineks ‘Raststätte’, ein absurder, wüster Sommernachtstraum nach Motiven von ‘Cosi fan tutte’, soeben vorgestellt im Rahmen der sogenannten Gate Biennale, die das britische Publikum mit einer Auswahl der besten neuen Theaterstücke des europäischen Kontinents bekannt machen möchte, wurde mit dieser britischen Erstaufführung zweifellos (man verzeihe den Kalauer) ein Bärendienst erwiesen.

Die passageweise brillante und geistreiche Verbalisierung der allzu banalen Gedanken und Gefühle frustrierter Ehefrauen, die sich zum Zwecke der Ableitung angestauter animalischer Triebe über eine Anzeige mit zwei wilden Bestien, Elch und Bär, in einer Kärntner Autobahnraststätte verabredet haben, kann nur in einer wirklich intelligenten Inszenierung überleben, die sich ganz auf den Text konzentriert und ihn als reines Kunstprodukt versteht, das sich mit diabolischer Ironie über die Trivialität der Situation, in der die Personen der Stücke sich befinden, erhebt.

Von solcher Einsicht scheint die Londoner Aufführung unter der Regie von Annie Siddons weit entfernt. Um alle Nebenrollen verkürzt und angewiesen auf ein mit minimalem Aufwand improvisiertes Bühnenbild, bleibt sie, vielleicht nicht einmal absichtsvoll, in schlechtem, vagen Pseudorealismus stecken. Die Sätze werden viel zu geschwind, leichtfertig und oberflächlich weggesprochen, so daß viele der Nuancen, witzigen Wortspiele und Konnotationen verloren gehen.

Was sich im Stück selber zuträgt, ist nur erträglich, wenn es mit viel Gespür, Geschmack und künstlerischem Raffinement dargeboten wird. Hier aber wirkt das halbherzig realistische Gerangel der in den Toiletten kopulierenden weiblichen Menschentiere und männlichen Tiermenschen nur peinlich, chaotisch, verfummelt und alles in allem abstoßend degoutant.

Die beiden ‘echten’ Tiere, die von den Menschen am Ende erschlagen werden, treten mit obszönen Phallusattrappen auf. Der Darsteller des Bären zieht sich, wenn es ihm zu warm wird, von Zeit zu Zeit das Fell über die Ohren und gibt sich, eindeutig gegen den Sinn seiner Rolle, als Mensch zu erkennen. Die meisten Dialoge hören sich an wie schier endlose Kaskaden aus modischem Geschwätz, das langweilt und verdrießlich stimmt; ein Manko, das höchstens im kurzen zweiten und dritten Akt, wenn man sich selbst beim Lesen der englischen Fassung des Eindrucks von Redundanz kaum noch erwehren kann, auch dem Text selbst zuzuschreiben wäre.

Die englische Fassung von Elfriede Jelineks ‘Raststätte’ ist inzwischen unter dem englischen Titel ‘Services’ auch im Druck erschienen in der, wie mir scheint, ausgezeichneten Übersetzung von Nick Grindell. Bleibt nur zu hoffen, daß nach der mißratenen Premiere des ersten Jelinek-Stückes in Großbritannien auch andere Theater sich für die österreichische Autorin interessieren und ihre böse Komödie unter günstigeren Bedingungen nachspielen werden.

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