die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1984
Text # 196
Autor Paul Slabolepszy
Theater
Titel Saturday Night At The Palace
Ensemble/Spielort Market Theatre Johannesburg/Old Vic Theatre/London
Inszenierung/Regie Bobby Heaney
Hauptdarsteller Fats Dibeco/Bill Flynn/Paul Slabolepszy
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1984.04.13/SWF Kultur aktuell/RB/WDR/DLF/ORF Wien/SRG Basel Nachdruck: Darmstädter Echo

Als Ende der Sechzigerjahre britische Theaterleute zum Zeichen des Protests gegen die Verbrechen der Apartheid-Politik einen von den britischen Gewerkschaften unterstützten Boykott beschlossen, der den Auftritt britischer Künstler in Südafrika verhindern sollte, sofern sie nicht vor gemischtrassigem Publikum stattfinden würden – eine Geste, die angesichts der bis heute fast unbehinderten wirtschaftlichen und militärischen Unterstützung des rassistischen Regimes von Seiten der ‘demokratischen Länder des Westens’ eigentlich nur symbolische Bedeutung haben konnte – da schien niemand auf den Gedanken zu kommen, daß der von Athol Fugard und anderen weißen Südafrikanern befürwortete Boykott den südafrikanischen Behörden gar nicht so ungelegen sein mochte, weil er ihnen die Peinlichkeit ersparte, die Aufführungen ausländischer Stücke, die ihrer totalitären Gesinnung widersprachen, verbieten oder zensieren zu müssen, was wiederum unliebsame Kommentare der ausländischen Presse provoziert haben würde.

Der Erfolg des von den britischen Künstlern verhängten Boykotts, der Südafrika kulturell isolieren sollte, brachte freilich noch etwas anderes mit sich: das südafrikanische Theater war gezwungen, sich der eigenen Talente und kreativen Ressourcen zu besinnen. Dem großen Vorbild ihres Landsmannes Athol Fugard folgend, traten junge Autoren auf den Plan, die sich mit der Gesellschaft Südafrikas kritisch auseinandersetzten und darauf bestanden, daß ihre Stücke von allen Teilen der Bevölkerung gesehen werden konnten.

Dem 1974 unter der künstlerischen Leitung von Barney Simon gegründeten Markttheater Johannesburg kommt in diesem Zusammenhang exemplarische Bedeutung zu. Gegen alle politischen Widerstände und ohne staatliche Zuschüsse hat sich das Market Theatre über die Jahre behauptet und durch seine Gastspiele im Ausland internationale Anerkennung erworben. So gut und wichtig der von England ausgehende Theaterboykott gewesen sein mochte, so wichtig war und ist es für uns, das westliche Ausland, dessen Regierungen das Apartheid-Regime stützen, zu erfahren, was es bedeutet, in einem der reichsten Länder der Erde zu leben, in welchem die große Mehrheit des Volkes, weil sie nicht weißer Hautfarbe ist, ein Sklavendasein führt.

Geht der Prophet nicht zum Berge, muß der Berg zum Propheten kommen: das von der südafrikanischen Regierung zum Schein demokratischer Freiheit zähneknirschend geduldete südafrikanische Theater ist, was seine Verbindungen zum Ausland angeht, in der Offensive. Nach der Erfolgsserie der Athol-Fugard-Stücke auf Londoner Bühnen, dem sensationellen Auftritt des ‘Woza-Albert’-Teams, dem in den Riverside Studios laufenden Musical ‘Poppie Nongena’ (beides Inszenierungen des Markttheaters, wie auch Fugards letzte Londoner Inszenierung, die seines Stückes ‘Master Harold and the Boys’, das verschiedene Preise gewann und nun schon seit Monaten im Nationaltheater gespielt wird ) hat sich inzwischen eine weitere Marktheater-Inszenierung in London eingefunden. ‘Saturday Night At The Palace’ von Paul Slabolepszy, einem jungen Südafrikaner polnisch-britischer Abstammung, ist ein Dreipersonenstück, das (thematisch an Fugards ‘Lektion von Aloen’ und ‘Master Harold’ erinnernd) einen Ausschnitt des südafrikanischen Alltags unter die Lupe nimmt.

Der “Palast” des Titels ist eine große Schnellimbißbude, ‘Rocco’s Burger Palace’, die von dem schwarzen ’Boss-Boy’ September geführt wird. Sein Chef hat ihm nach Jahren zum ersten Mal einen Heimurlaub zu Frau und Kindern bewilligt. Zwei junge Weiße, die nachts mit ihrem Motorrad vor seinem Laden liegen bleiben, sorgen dafür, daß September die Reise nach Hause nicht antreten wird. Weil er sie nicht mehr bedienen will, muß er sich die bösartigsten Demütigungen gefallen lassen. Der rabiatere der beiden Burschen nimmt ihm die Schlüssel ab, sucht nach der Kasse, und da er kein Bargeld findet, beginnt er, das ganze Lokal zusammenzuschlagen. Die Aggressivität wendet sich auch gegen den eigenen Kumpel, der dem Rasenden schließlich ein Messer in die Rippen stößt und sich aus dem Staube macht, bevor die Polizei auf der Szene erscheint und, wie wir annehmen müssen, September als mutmaßlichen Mörder des Weißen verhaften wird.

Das Stück, das mit überlanger Exposition begann, endet furios melodramatisch. Aggressivität und Zerstörungswut auf der Suche nach einem Opfer finden den sprichwörtlichen Prügelknaben stets unter den gesellschaftlich Deklassierten. Gewalttätigkeit ist die Sprache der Sprachlosen, Ausdruck von Selbsthaß der durch die Unmoral ihrer Gesellschaft Demoralisierten, die Sprache der durch die Unmenschlichkeit des Systems moralisch Verstümmelten.

Unter der Regie von Bobby Heaney liefern Fats Dibeco als September, Bill Flynn als Forsie und Paul Slabolepszy, der Autor, in der Rolle des brutalen Wüterichs, der tot auf der Strecke bleibt, durch die Intensität ihres Spiels ein spannendes Stück Theater, das uns neben den bekannteren Aspekten der südafrikanischen Tragödie auch die Frustration jener jungen Weißen zu verstehen hilft, die selbst im gelobten Land der weißen Superiorität am Wohlstand der Herrenmenschen nicht teilhaben.

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