Isaac Cowen ist der einzige Jude einer österreichischen Kleinstadt, der den Holocaust überlebt hat. Nach dem Krieg ist er in seine alte Heimat zurückgekehrt, um die Wahrheit über die Nazi-Verbrechen an den Tag zu bringen. Fünfundzwanzig Jahre lang hat er Informationen gesammelt über die prominentesten Bürger der Stadt, hat in die geheimsten Winkel ihrer braunen Seelen hineingeleuchtet, sich gründlich vorbereitet für den großen Tag, an dem er die Ergebnisse seiner Untersuchung veröffentlichen, das schlafende Gewissen der Biedermänner wachrütteln wird, die damals zweitausend jüdische Mitbürger in die Konzentrationslager verfrachten halfen und als Sammler nationalsozialistischer Memorabilia ihrer braunen Gesinnung auch nach dem Krieg die Treue gehalten zu haben scheinen.
Tom Kempinski, Autor des Stückes ‘The Beautiful Part of Myself’ (Der schöne Teil von mir) gehört als einer der Nachkommen der berühmten Berliner Hoteliersfamilie, die sich ihrer geplanten Ermordung nur durch die Flucht ins Ausland entziehen konnte, noch zu den unmittelbar betroffenen Opfern, für die der Gedanke an Abrechnung mit den Mördern und ihren Helfern unauslöschlich eingebrannt ist wie die KZ-Nummern, die viele von ihnen noch auf dem Unterarm tragen.
“Ich habe nur Mordgedanken in meinem Herzen“, gesteht Cohen, die Hauptfigur in Kempinskis neuem Stück, einem befreundeten jungen Mann. “Ich möchte sie am liebsten alle erschießen“. Doch der psychologisch verständliche, unkontrollierbare Haß des Juden auf alle Nicht-Juden wird ihm zum Verhängnis. Der alternde Mann hat sich auf ein Verhältnis mit einem jungen Mädchen eingelassen, hat sie zum Werkzeug seiner Rachegedanken gemacht; daraus ist wirkliche Liebe geworden, die das Mädchen schließlich in den Selbstmord treibt, in den Bürgern der Stadt die alten antisemitischen Aggressionen weckt und Cohens geplante Veröffentlichung der Nazi-Vergehen gefährdet; denn (wie der ehemalige SS-Führer Heinrich Gott erklärt) “Wer wird schon einem alten Juden glauben, der ein süßes arisches Mädchen auf dem Gewissen hat?“.
Doch da ist noch ein anderer Grund, warum Cohen seit Jahren gezögert hat, die Ergebnisse seiner Untersuchung bekanntzumachen. Er hat festgestellt, daß sein Vater in der Besessenheit für die zionistische Idee, seinem besinnungslosen Glauben an das ‘auserwählte Volk der Juden’ und die Legitimität ihres Anspruchs auf Palästina versucht hatte, eine kleine Gruppe der für den neuen Staat Israel erwünschten Führer gegen Preisgabe einiger Tausend anderer Juden freizukaufen. Und nur weil die Nazis sich nicht an die Absprachen hielten, waren auch er und seine Freunde umgekommen.
Kempinski ist seinem Protagonisten zu nahe, um den Gedanken der Unterschlagung der Wahrheit über die Schuld des Vaters gegen die Dringlichkeit der Bekanntgabe nazistischer Untaten kritisch abzuwägen oder die Irrationalität des Judenhasses mit der Zionismus-Idee zu vergleichen, dem ebenso gefährlichen irrationalen Anspruch auf jüdischen Sonderrechten, die sich nur unter Berufung auf numinöse Dogmen begründen lassen, deren Zwecke praktisch alle Mittel heiligen sollen. Der Konsequenz solcher im Stück angelegten Gedanken geht der Autor aus dem Weg. Was uns nicht davon abhalten soll, ihm für ein – leider noch höchst aktuelles – spannend geschriebenes Stück Theater zu danken, das zur Gewissensprüfung aufruft, indem es unbequeme Fragen stellt.
Über die Aufführung im Palace Theatre Watford läßt sich nur Gutes sagen. Mit Warren Mitchell als Isaac Cohen und einer nahezu idealen Besetzung der übrigen Rollen werden die melodramatischen Untiefen des Textes virtuos überspielt.