die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 20
Autor Miodrag Bulatovic
Theater
Titel Godot Has Come
Ensemble/Spielort Cambridge University Theatre Company/Cockpit Theatre/London
Inszenierung/Regie Nicholas Wright
Neuinszenierung
Sendeinfo 1971.11.26/BBC German Service/Kulturkaleidoskop

Miodrag Bulatovic, geboren 1930 in einem kleinen Dorf Montenegros, ist durch seine beiden Romane ‘Roter Hahn’ und ‘Der Held auf dem Rücken des Esels’ sowohl in England als auch und vor allem in Deutschland bekannt geworden. Besonders die tragikomische Gestalt des verhinderten Helden Malic, ein naher Verwandter des braven Schwejk, hat hier wie dort viele Anhänger und Freunde gefunden. 1966 brachte das Düsseldorfer Schauspielhaus die Uraufführung eines Theaterstückes, das schon durch seinen Titel ‘Godot ist gekommen’ mit einer Widmung an Samuel Beckett die Neugier der Dramaturgen und Regisseure, denen es in die Hände fiel, erregte, aber aus mancherlei Gründen zunächst enttäuscht hatte. Der Autor hatte die Dreistigkeit – oder besser: die Chutzpe, einen Vergleich mit dem großen Beckett zu provozieren und war dabei, wie man so sagt, auf den Rücken gefallen.

Das Stück war im Grunde nach Inhalt und Form von Becketts ‘Warten auf Godot’ so himmelweit entfernt, daß der Protest der Beckett-Verleger gegen die von Bulatovic gewagte ’Variation eines sehr alten Themas’ (wie es im Untertitel hieß) eigentlich nur wegen der mit dem Streit verbundenen Publicity verständlich war. In der ersten Fassung, die ich 1965 las, schien das Stück unaufführbar zu sein, jedenfalls ohne erhebliche dramaturgische Veränderungen. Die Düsseldorfer Uraufführung, wie auch die zweite deutsche Inszenierung in Köln, mußten als Mißerfolge verbucht werden. Erst die brillante Inszenierung von Jorge Lavelli am Ateliertheater in Genf bewies, daß das Stück mehr als der literarische Fehlgriff eines die eigenen Möglichkeiten überschätzenden jungen Autors war, vielmehr der respektable Versuch, Becketts ‘Godot’ sozusagen vom Kopf auf die Beine zu stellen, die Absurdität vergeblichen Wartens auf ein nie eintretendes Ereignis zu konkretisieren, den ominösen Godot einfach auf die Bühne zu holen und ihn als durchaus normalen, sehr real handelnden Menschen zu zeigen, neben dem alle übrigen Personen puppenhaft unwirklich erscheinen.

Bulatovic führt vor, daß der erwartete Godot, sobald er leibhaftig die Szene betritt, nicht willkommen ist, weil er die Traumwelt, in welcher die anderen leben, gefährdet. Godot, der friedliebende Bäcker, befreit den versklavten Lucky aus der Gewalt Pozzos. Im zweiten Teil des Stückes haben sich die Rollen vertauscht und Lucky herrscht nun brutal über seinen ehemaligen Herrn. Als Godot ebenso spontan für die Befreiung Pozzos eintritt, kommt es zum Kampf, in welchem Godot vernichtend geschlagen wird.

Die Cambridge University Theatre Company, die das Stück als britische Erstaufführung bei den diesjährigen Festspielen in Edinburgh vorstellte, zeigt im Londoner Cockpit Theatre eine Textfassung, die wesentlich straffer wirkt als die mir bekannten deutschen Versionen. Gerald Chapmans bemerkenswert farbige und theatralisch sehr wirkungsvolle Inszenierung beleuchtet eine marionettenhafte Welt illusionärer Träumer, die für die Wahrheit der Wirklichkeit keinen Platz hat, Humanität als Bedrohung registriert und jeden Versuch, die Ideologien zu unterlaufen, vernichtet. In der totalitären Sicht erscheint das naiv Natürliche und Vernünftige als abnormal und hat daher keine Überlebenschance.

Dem abstrakt-totalen Pessimismus Becketts, der über den Figuren seiner Stücke wie die dunkle Wolke eines unentrinnbaren Schicksals schwebt, begegnet Miodrag Bulatovic mit dem Pessimismus des resignierten Weltverbesserers: Man muß Godot auf die Bühne holen, um zu zeigen, daß es sich nicht lohnt, auf ihn zu warten. “Ich habe den Eindruck”, bekennt Bulatovic, “daß die Welt nicht so ist, wie Beckett sie darstellt, sie ist schlechter”.

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