die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 33
Autor Henrik Ibsen / John Osborne
Theater
Titel Hedda Gabler
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Anthony Page
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1972.06.29/SWF Kultur aktuell

“Ein scheußliches Stück“, schrieben die Kritiker, als ‘Hedda Gabler’ von Henrik Ibsen 1891 zum ersten Mal auf einer Londoner Bühne vorgestellt wurde. Neu überarbeitet von John Osborne, hat das Werk nichts von seiner ‘Scheußlichkeit’ eingebüßt, für mich leider auch nicht sonderlich viel gewonnen. Denn ‘Hedda Gabler’ bleibt auch in der neuen, sprachlich modernisierten Fassung so sehr ein Stück des vorigen Jahrhunderts, daß man die durch gesellschaftliche Konvention deformierten Charaktere wie ausgestorbene Tiere im naturhistorischen Museum betrachtet. Die behutsam-respektvolle Behandlung, die Osborne dem Original zuteil werden läßt, scheint die Vermutung zu bestätigen, daß den weiland zornigen jungen Mann hier mehr umtreibt als bloß historisches Interesse am Milieu des dekadenten Bürgertums vor der Jahrhundertwende, das die Stücke Tschechows, Strindbergs und Ibsens spiegeln.

Osborne hat sich die revoluzzerhafte Gebärde, die ihn berühmt gemacht hat, abgeschminkt. Mit sorgfältig gestutztem Vollbart, gestreiftem Hemd und scharlachroter Krawatte präsentierte er sich dem Premierenpublikum, lange dünne Zigarren rauchend und in Oscar-Wilde’scher Pose lässig blasiert den Schauspielern Beifall spendend.

Die Londoner Kritiker zeigten sich sowohl von der neuen ‘Hedda’, als auch von Anthony Page’s Inszenierung sehr beeindruckt und lobten vor allem, daß Osborne nur wenig am Stück verändert, es nur sprachlich etwas aufgemöbelt und durch geringfügige Verlagerung der Akzente die Motive der handelnden Personen verständlicher gemacht habe.

Hedda ist ein verwöhntes, grausam berechnendes weibliches Scheusal, das aus purer Langeweile und einem geradezu perversen Perfektionismus Unheil stiftet. In Jill Bennetts Darstellung sind die widerwärtigen Charakterzüge dieses frigiden Teufels von Anfang an so offenbar, daß ihre männlichen Verehrer mit einfach unverzeihlicher Dummheit geschlagen sein müssen, um nicht zu erkennen, mit wem sie es zu tun haben. Was dann im Verlauf der Handlung geschieht, ist schon im ersten Akt so klar voraussehbar, daß man als Zuschauer selbst das Interesse am Wie verliert. Zum Schluß artet das ganze zur Kriminalstory aus, mit Brack als cleverem Detektiv, dem es gelingt, den Verbrecher zu überlisten und zum Geständnis zu bewegen, bevor Hedda sich hinter den Vorhang zum Schlafgemach zurückzieht und – wie zu erwarten stilgerecht – die Kugel in die Stirn schießt, um dann in herrlich theatralischer Pose leblos über dem Diwan zu liegen.

Die Kritiker fanden, wie gesagt, es sei ein überaus eindrucksvoller Theaterabend gewesen, der freilich, wie einer meinte, “noch effektvoller” gewirkt hätte, wenn man den Bühnenvorhang senkrecht hätte bewegen können.

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