die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 28
Autor Howard Brenton/H. B. Kimmel
Theater
Titel Hitler Dances/The Cell
Ensemble/Spielort Young Vic Theatre/London Little Theatre Club/London
Inszenierung/Regie Anthony Page
Sendeinfo 1972.03.03/SWF Kultur aktuell 1972.03.04/BBC German Service/Gehört, Gesehen, Gelesen

"Hitler tanzt im Young Vic", hieß es in einer Ankündigung auf das Gastspiel des Traverse Theatre Workshop aus Edinburgh, dem besten und wagemutigsten Experimentiertheater des britischen Nordens. ‘Hitler tanzt’ ist ein Stück über den zweiten Weltkrieg, gesehen mit den Augen der Generation der Danach-Geborenen, für die die Ereignisse schon Vorgeschichte sind, Vorgeschichte nicht nur im Sinne einer weit zurückliegenden Vergangenheit, sondern – sofern es die Vergangenheit der historischen Gegenwart ist – auch als bestimmendes Moment dieser Gegenwart.

Howard Brenton, der Autor, hatte Kinder beobachtet, die auf den Bombenfeldern von Eindhoven ahnungslos Krieg spielten. Was würde geschehen, wenn ein deutscher Soldat, einer der letzten, die auf dem Rückzug noch kurz vor dem Ende des Hitlerreiches erschlagen wurden, – was würde geschehen, wenn dieser tote Soldat plötzlich wieder auferstände und in das Spiel der Kinder sich einmischen würde? Die graue Gestalt mit weitem Militärmantel, Stahlhelm und Gewehr, damals furchterregendes Symbol des Bösen, hat als Kinderschreck ausgedient. Es ist ein armseliger alter Mann, der von alptraumhaften Erinnerungen gehetzt wird und nichts weiß von dem, was in drei Jahrzehnten nach dem Krieg geschah, – einer, der Geschichten erzählen kann.

Zum Beispiel die von dem Mädchen Violette, Kind einer englischen Mutter und eines französischen Vaters, das einen jungen Franzosen heiratet, der in Nordafrika im Kamf gegen die Deutschen fällt. Die Verzweiflung über seinen Tod schlägt um in unversöhnlichen Haß gegen die Deutschen, die den Krieg verschuldeten. Violette meldet sich für den weiblichen Sondereinsatz im besetzten Frankreich. In einem schottischen Ausbildungslager lernt sie die abscheuliche Kunst raffinierter Tötungstechniken. Sie stirbt schließlich als ‘große Heldin des Widerstandes’.

Der englische Autor Howard Brenton versucht, sich mit einem Stück britischer Vergangenheit auseinanderzusetzen, als sei es der große Höhepunkt einer glorreichen Geschichte gewesen, ohne wahrzunehmen, wie Kriegspropagandalügen, Demagogie und Terror damals auch hierzulande herrschten. Der Geist Hitlers tanzt nicht nur auf den Gräbern der Opfer des Krieges; in der primitiven Mentalität der militärischen Ausbilder, die die Technik des Tötens lehren, hat er bis heute überlebt.

Im Land der ‘Apardheid’ Südafrika herrscht der Terror in Gestalt des Rassismus unverhüllt selbstbewußt offen und international garantiert. In einem Londoner Lunchtime-Theater, dem Little Theatre Club, wurde soeben das Stück eines südafrikanischen Autors uraufgeführt, ‘The Cell’ (Die Zelle) von H. B. Kimmel. Es spielt in einer Gefängniszelle Südafrikas. In ihr begegnen sich zwei weiße Häftlinge, von denen der eine die Prinzipien der Apardheid verficht, obwohl er selber deren Opfer ist. Kimmel führt vor, wie selbst in einer von den Schwarzen isolierten Situation der Trieb, zu beherrschen und andere zu unterwerfen, überlebt. Im Verlauf des Stückes zwingt der eine der beiden Männer den anderen in die Rolle eines ‘Kaffirs’, des Untermenschen, der nicht verdient, besser als ein Tier behandelt zu werden. Die Zelle wird durch einen Kreidestrich künstlich getrennt, den der willkürlich zum Abhängigen erklärte Mitgefangene auf dem Weg zur Toilette nur überschreiten darf, wenn er zuvor in demütiger Haltung schriftlich um einen Passierschein nachgesucht hat. Die dabei ausgeübten Drohungen und Schikanen, die in der gegebenen Situation grotesk-komisch und absurd wirken, sind ein Spiegelbild der politischen Praxis.

Im zweiten Teil des Stückes kehrt sich das Machtverhältnis um. Der Herumkommandierte hat erfahren, daß sein Peiniger sich selbst der Rassenschande im Sinne des Gesetzes schuldig gemacht hat. Nun muß er sich vor seinem Zellengenossen dem Zwang der Indoktrination durch die Ideologie der Linken beugen, die in Gefahr steht, ebenso undialektisch einseitig zu argumentieren wie ihre politischen Gegner.

Das Stück ‘Die Zelle’ gibt Einblick in die Alltagswirklichkeit eines afrikanischen Landes, in welchem als Mensch nur gilt, wer die Hautfarbe der europäischen Einwanderer hat, die es beherrschen.

Nach Oben