die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1979
Text # 302
Autor Martin Sherman
Theater
Titel Bent
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Robert Chetwyn
Hauptdarsteller Ian McKellen/Tom Bell
Uraufführung
Sendeinfo 1979.05.07/SWF Kultur ktuell/ORF Wien/SRG Basel

‘Bent’ (wörtlich: verbogen) steht im Englischen für die Bedeutung ‘homosexuell’ wie auch ‘verbrecherisch’. In der Ankündigung zur Uraufführung des Stückes ‘Bent’ von Martin Sherman hieß es, es gehe um beides, um Homosexualität und Verbrechen. Ian McKellen, seit viereinhalb Jahren Star der Royal Shakespeare Company, hatte das Stück des amerikanischen Autors entdeckt, so erfuhr man, und es dem Royal Court Theatre angedient.

“Das Stück basiert auf Fakten“, las man im Programmheft. Doch erst in der zweiten Szene des ersten Aktes wird klar, von welchen Fakten die Rede ist. Wir sind in Berlin, 1934, am Tag nach der Zerschlagung des Röhm-Putsches, die zum Auftakt der systematischen Verfolgung von Homosexuellen in Nazi-Deutschland wurde und zur Ermordung von nahezu einer halben Million unschuldiger Menschen führte, die in den Konzentrationslagern, mit rosa Dreieck markiert, manchmal noch grausamer zugrundegingen als die Träger des Judensterns.

Max, ein gut aussehender junger Mann, flieht mit seinem Freund Rudi, einem Tänzer, aus Berlin. Ihre Odyssee kreuz und quer durch Deutschland endet mit Verhaftung und Abtransport ins KZ Dachau. Auf der Reise wird Rudi zutode gefoltert, wobei Max nur durch Preisgabe des Freundes das eigene Leben retten kann.

Der zweite Akt des Stückes zeigt Max in der Rolle eines Mannes, der entschlossen ist, das Vernichtungslager zu überleben. Es ist ihm gelungen, sich statt des rosa Dreiecks den gelben Stern zu verschaffen. Er hat es verstanden, sich einen Arbeitsplatz zu sichern, der größere Überlebenschancen verspricht. Er und ein Mitgefangener müssen einen Haufen von Felsbrocken sinnlos von einer Stelle zur anderen transportieren. Zwischen den beiden Männern entwickelt sich eine Liebesbeziehung, die sich jede natürliche Kommunikation versagen muß. Die Gefangenen dürfen einander nicht anschauen, um nicht zu verraten, daß sie miteinander sprechen; sie dürfen sich nicht berühren, sind nie allein. Einer der Höhepunkte des Stückes zeigt, wie die Männer während einer der durch Sirenengeheul anbefohlenen Dreiminutenpausen auf zwei Meter Entfernung mit geradeaus gerichtetem Blick nebeneinander stehend sich durch bloße verbale Beschreibung von körperlichen Zärtlichkeiten, die sie austauschen, zum simultanen Orgasmus bringen. Die Liebe zueinander erhält den Lebenswillen der Mißhandelten.

Als Max durch sexuelle Sonderleistungen für einen SS-Offizier dem erkrankten Freund lebenswichtige Medizin beschafft und herauskommt, dass sie nicht für ihn selbst, sondern für einen anderen bestimmt war, der daraufhin zum Tode verurteilt wird, zieht Max den Mantel des toten Freundes mit dem Zeichen des rosa Dreiecks an und greift in den Elektrozaun.

Mit Ian McKellen in der Rolle des Max und Tom Bell als dessen Freund Horst wird das Stück in der Inszenierung von Robert Chetwyn zum überzeugenden Dokument der Homosexuellenverfolgung im Dritten Reich, ein Thema, über das bezeichnenderweise bis heute nur wenig gesagt und geschrieben worden ist, so als sei die Tötung einiger Hunderttausend Homosexueller vergleichsweise leichter zu verkraften als die Ermordung anderer Unschuldiger.

Martin Shermans Stück verhilft der Doppelbedeutung des Wortes ‘bent’ zu einem Verständnis, in dessen Licht die Tragödie der Homosexuellenvernichtung dem millionenfachen Judenmord auf eine Weise gleichgesetzt wird, daß nicht die entwürdigten Opfer, sondern deren Henker und Folterknechte als wahrhaft perverse Monstren erscheinen.

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