die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 15
Autor Pip Simmons/Jerry Rubin
Theater
Titel Do It - Scenes from the Revolution
Ensemble/Spielort Theatre Upstairs/London
Inszenierung/Regie Pip Simmons
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1971.08/28/BBC German Service/Kulturkaleidoskop

Wie reagiert ein Zuschauer im Theater, wenn er herzlich und ganz persönlich ersucht wird, ein Wort nachzusprechen, das allgemein als unaussprechlich unanständig, obszön gilt? Ein jüngerer Mann, zwei Reihen von mir entfernt, bemühte sich verzweifelt, mit verkniffenem Gesicht der harmlos freundlichen Nötigung zu widerstehen. Anderen fließt es schnell von der Zunge, sobald sie begriffen haben, worum es geht: daß hier ausnahmsweise erlaubt sein soll, was gefällt, nämlich in der Aufführung ‘Do It’ im Theatre Upstairs des Royal Court. Es macht offensichtlich einige Mühe, einen anständigen Mitbürger zu überreden, schlicht das zu tun, was Spaß macht, einmal die anerzogenen Hemmungen abzulegen und ein ‘verbotenes’ Wort offen auszusprechen. Hat er sich schließlich dazu durchgerungen, dann dröhnt es, das schlimme Wort, wie Kanonendonnerecho aus allen Lautsprecherkanälen: Triumphgeschrei nach erfolgreich geschlagener Schlacht, der Befreiung vom lustfeindlichen Tabu.

Pip Simmons Theatre Group in ‘Do It - Szenen von der Revolution’ nach dem gleichnamigen Buch von Jerry Rubin, für die Bühne eingerichtet von Pip Simmons – ‘Do It’ ist endlich nach London zurückgekehrt, wo es jetzt zu einem theatralischen Höhepunkt der Saison wurde. Eine Inszenierung, die für die englische Theatergeschichte der letzten Jahre ähnlich wichtig sein könnte wie Peter Brooks vielgepriesener ‘Sommernachtstraum’. Wenn die meisten der hiesigen Kritiker, auch wo sie mit Lobesworten über ‘Do It’ nicht kleinlich waren, sich einer so kühn klingenden Behauptung nicht anschließen werden, dann hat das vielleicht mit dem Alter der schreibenden Herren zu tun, und zwar nicht nur dem Alter an Jahren; wie Jerry Rubin sagt: “Wir haben die Quelle der Jugend entdeckt. Ihr seid so alt wie ihr sein wollt. Alter ist, was ihr im Kopf seid, im Bewußtsein”. Und Pip Simmons’ ‘Do It’ ist so faszinierend jung wie keine andere Inszenierung hier seit langer Zeit: unerhört beweglich, übermütig, tänzerisch leicht, respektlos, phantasievoll, ehrlich und verdammt optimistisch.

Das Spiel beginnt mit einer Einführungsrede an das Publikum. Einer der Darsteller baut sich mit staksigen Beinen vor den Zuschauern auf und erklärt, wie das Stück zustande kam, daß es unter anderem von Jerry Rubin handele, dem amerikanischen Revolutionär und Yippie-Anführer (der vor einiger Zeit bei einem Besuch in England als unerwünschter Ausländer des Landes verwiesen wurde). Frei nach der Partitur seines ‘Do It’-Buches werde man eine Revolution besingen, die hier und jetzt sich ereigne, wie überall dort, wo man sie lebe. “Revolution ist nicht, woran ihr glaubt, welcher Organisation ihr euch anschließt oder wen ihr wählt”, heißt es, “Revolution ist, was ihr tagtäglich tut, wie ihr lebt. Wir müssen Politik auf die Einfachheit von Rock’n’Roll-Texten reduzieren. Und vor allem: wir müssen handeln. DO IT!”.

Und dann bricht der Hexentanz los. Musikalischer Auftakt zur Revolution der Jungen gegen die Alten, gegen die Obrigkeit, gegen Kapitalismus und Krieg, gegen Rassismus und Unmenschlichkeit, gegen Polizeiterror und Philisterei, gegen eine Politik, die Amerika zum Inbegriff alles Verabscheuungswürdigen gemacht hat. Elvis Presley, dessen Musik die Geister und Körper elektrisierte, Elvis ist König und Rubin ist sein Prophet. Revolution aus dem Geist der Musik, für die Befreiung von allen lustfeindlichen Tabus; Revolution, die lustvoll inszeniert werden muß, ja eigentlich nur für den Spaß, die Lust am Leben, da ist und keiner weiteren Rechtfertigung bedarf. Die aggressiven, wild-hektischen Rock-Rhythmen werden allmählich sanfter, und auf den haschisch-trunkenen Gefilden der Pop-Festivals blüht die blaue Blume der selbstvergessen träumenden Hippiekinder. Die Parodie auf Gestus und Sprache der kindlich lächelnden Pop-Musikanten macht die Grenzen deutlich, in denen sich die menschenfreundlichen Revolutionäre solchen Schlags bewegen.

Den süßen Gesängen folgt Ernüchterung auf dem Fuße. Die Realität, knüppeldick material, zerschlägt die holden Träume vom Reich der Liebe. Man wird daran erinnert, daß Jerry Rubin, der phantasievolle Inszenator der erfolgreichsten Protestaktionen in den USA und Gründer der Internationalen Jugendpartei, kurz YIP genannt, auch beim Marsch in die New Yorker Börse dabei war. “Friß dein Geld und stirb!“, heißt es dazu im Lied. Man wird daran erinnert, daß Rubin den berühmten Protestmarsch auf das Pentagon anführte, daß er sich wiederholt vor dem Komitee für anti-amerikanische Umtriebe verantworten mußte und daß er in dem berüchtigten Chicagoer Verschwörerprozeß angeklagt wurde und aus jeder dieser Gelegenheiten publizistisch Kapital zu schlagen verstand.

Die Parodie auf eine Versammlung linker Studentenvertreter zeigt die Ohnmacht und Naivität der pazifistischen Schwätzer. Vor solchem Hintergrund wirkt die Brutalität der polizeilichen Nacht-und-Nebel-Aktionen umso beängstigender. Und weil man knüppelschwingende Polizisten im Jargon nur als ‘pigs’, also ‘Schweine’, bezeichnet, läßt man einen ihrer Repräsentanten mit riesiger Schweinskopfmaske auftreten und in durchaus säuischer Manier eine Grunzrede halten. Nixon wird unter Kosakenklängen beschworen, der Auftritt eines Richters wie das neueste Pariser Modell auf dem Laufsteg annonciert, Allen Ginsberg präsentiert sich als poetischer Mystizist, und Jerry Rubin schließlich, der Prophet der amerikanischen Revolution, der sich selbst kaum jemals ernst genommen hat, darf als die tragisch-lächerliche Gestalt gelten, die er immer auch war, wenn nämlich die Revolution, die er entfachen half, die Grenzen des Theaters sprengt und auf die Straßen drängt. Man hängt ihm ein weißes Laken um, legt auf ihn an und schießt, ein roter Farbbeutel platzt vor seinem Gesicht und ein blutiges Bündel wälzt sich am Boden. “Es ist die Rolle des revolutionären Theaters, Revolution zu machen”. Do it!

Was die Pip Simmons Theatre Group und ihre sieben singenden, tanzenden und musizierenden Schauspieler vor allen anderen Theatergruppen in England auszeichnet, ist die Vehemenz ihres politischen Engagements, ihr Formgefühl, ihr unerhörtes Können, die bewundernswert präzise Darstellungstechnik und eine Musikalität, die man mancher Popgruppe wünschen möchte. Ein Londoner Kritiker schrieb: “Ihre Musik wirkt genau so elektrisierend wie die der Rolling Stones bei einem öffentlichen Konzert”.

 

Nach Oben