Die Uraufführung von John Mortimers Schauspiel ‘Ich, Claudius’ im Londoner Queen’s Theatre bringt nicht viel aufregend Neues, sofern das von einer neuen Dramatisierung der Romane von Robert Graves überhaupt zu erwarten war. Mortimer scheint nicht nach neuen Motiven gesucht zu haben, die an dem historischen Material uns heute besonders interessieren könnten. Das Stück ist unterhaltsam und hält die Aufmerksamkeit des Publikums bei den manchmal ziemlich verwickelten Vorgängen auf der Bühne, den Intrigen um Macht und Einfluß im Staat, weil der Charakter der Hauptfigur interessiert, des wider Willen zum römischen Kaiser gemachten, hinkenden, stotternden Claudius, der in dem Augenblick, da er zum Verwalter von Recht und Gesetz geworden ist, diese Aufgabe wirklich ernst nimmt und sich schon durch seine erste Amtshandlung Respekt verschafft, indem er den Mann, der ihm durch die Ermordung Caligulas den Weg zum Thron zu ebnen versucht hat, zum Tode verurteilt.
Mortimer hält es für nötig, die lange Vorgeschichte des Claudius-Falles darzulegen, statt durch ihn selbst, der die märchenhafte Story seines Lebens erzählt, darüber nur so viel berichten zu lassen, wie zur Bezeichnung seines Charakters nötig wäre. Das wirkt wie eine allzu lange Exposition, weil durch die Eile, mit der man durch die historischen Ereignisse jagt, alle anderen Figuren schemenhaft blaß und gesichtslos bleiben.
David Warner spielt die Titelrolle. Er hat bei der Royal Shakespeare Company Karriere gemacht. Mit seiner langen, schlaksigen Figur, der Arme und Beine zuweilen außer Kontrolle zu geraten scheinen, hat Warner sich inzwischen vor allem auf die Darstellung von tragikomischen Charakteren spezialisiert, die äußere Handicaps durch schöne Seele, moralische Integrität überwinden. Sein Claudius ist ein armseliger Krüppel, der sich in Bibliotheken verkriecht, ins Studium der Geschichte vertieft, weil er für sportlich-militärische Leistungen nicht tauglich ist. Furchtsam und menschenscheu, glaubt er nicht an die Möglichkeit von Gerechtigkeit, solange ein Einzelner als omnipotenter Herrscher an der Spitze des Staates steht. Er weiß, daß Macht moralisch korrumpiert und versucht, ihr aus dem Wege zu gehen, bis er merkt, daß auch er sich den korrumpierenden Zwängen der Gesellschaft nicht entziehen kann, sobald er in ihren Diensten steht, und schließlich sogar mit der Vergottung seiner Person sich abfinden muß.
Tony Richardson, der vor Jahren David Warner für das Royal Court Theatre entdeckte, liefert eine klare, unkomplizierte Inszenierung, die besonders durch ihre ironischen Momente gefällt und David Warner genügend Spielraum läßt für die eindrucksvolle Darstellung dieses zum positiven Helden kaum geeigneten Kaisers Claudius.