die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1984
Text # 192
Autor Jon Blair & Norman Fento
Theater/ Film/ Kulturpolitik
Titel The Biko Inquest
Ensemble/Spielort United British Artists/Riverside Studios/London
Inszenierung/Regie Peter Wood/Harold Pinter
Hauptdarsteller Albert Finney/Glenda Jackson/Diana Rigg/Maggie Smith/ John Hurt/ Richard Johnson
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1984.02.02/DLF/SR 1984.02.03/WDR/RB/ORF Wien/Nachdruck: Darmstädter Echo 1984.02.13/Radio Studio Zürich, ‘Film und Medien’ (Zweitfassung)

Mit dem Dokumentarstück ‘The Biko Inquest‘ von Jon Blair und Norman Fenton stellt sich in diesen Tagen in den Londoner Riverside Studios ein neues Schauspielensemble vor. United British Artists ist ein Zusammenschluß international bekannter Künstler von Bühne und Film, eine Schauspieler-Kooperative, die sich vorgenommen hat, Filme zu machen und Theaterinszenierungen herzustellen, die nach einer höchstens zweimonatigen Laufzeit auf einer Londoner Bühne in leicht veränderter Gestalt verfilmt und dann an Video- und Kabelfernsehgesellschaften weltweit vertrieben werden sollen.

Das Unternehmen erinnert an die Gründung der alten Hollywood-Filmgesellschaft United Artists, die den vereinigten Schauspieler-Stars eine angemessenere Beteiligung an den durch ihre Arbeit eingespielten Gewinnen sichern sollte. Ihren britischen Kollegen geht es, wie sie behaupten, um mehr, nämlich um die künstlerische Qualität ihrer Produkte. Neben alten und neuen Klassikern will man auch und vor allem anspruchsvolle neue Bühnenwerke einstudieren und in Videofilmfassung vertreiben.

Zum Vorstand der Schauspieler-Kooperative gehören Albert Finney, Glenda Jackson, Diana Rigg, Maggie Smith, John Hurt und Richard Johnson sowie die Regisseure Peter Wood und Harold Pinter. Ihr erstes Filmvorhaben (‘Champions’) ist bereits fertig und wird im März vorgestellt, andere Film- und Theaterprojekte sollen noch im Laufe dieses Jahres verwirklicht werden.

Gewisse Andeutungen lassen darauf schließen, daß die führenden Leute der Gruppe nach ihren langjährigen Engagements am Nationaltheater oder bei der Royal Shakespeare Company den beiden großen Ensembles gegenüber etwas auf Distanz gehen wollen. Sie sehnen sich nach einer Unabhängigkeit, die ihnen weder in den subventionierten Londoner Großbetrieben, wo sie als Schauspieler auf die Programmgestaltung kaum Einfluß nehmen konnten, noch gar im Bereich des von rein ökonomischen Faktoren bestimmten und damit vielen Zufällen unterworfenen kommerziellen Theaters zugestanden wurde.

Mit der Wahl des Eröffnungsstückes, einer britischen Erstaufführung des in einer 30Minuten-Fernsehfassung ausgestrahlten sowie durch verschiedene Lesungen der Royal Shakespeare Company bekannt gewordenen ‘Biko Inquest’, beweist das Ensemble, daß es ihm nicht nur um die Verkäuflichkeit seiner Ware geht. ‘The Biko Inquest’ ist das auf zweieinhalb Stunden komprimierte Originalprotokoll der vom 14. November bis 2. Dezember 1977 in Pretoria durchgeführten Untersuchung der Umstände, die zwei Monate davor zum Tod des schwarzen Bürgerrechtlers Steve Biko geführt hatten, einer Befragung des verantwortlichen Chefs der Sicherheitspolizei und der Beamten, die das Verhör leiteten, in welchem Biko die tödlichen Verletzungen erlitt, einer Befragung der Ärzte, die ihn vor und nach dem Verhör gesehen, ihn untersucht, “nichts Ungewöhnliches” festgestellt und dies den folternden Polizisten schriftlich gegeben hatten, sowie der Professoren, die nach Bikos Tod ihre unverbindlichen pathologischen Gutachten stellten.

Im Hin und Her der unter der Leitung eines Magistratsbeamten laufenden Befragung werden die furchtbaren Fakten rekonstruiert: daß der wegen keines einzigen Vergehens verurteilte, mit legalen, friedlichen Mitteln für die “geistige und politische Emanzipation” der schwarzen Südafrikaner arbeitende Steve Biko am 18. August 1977 verhaftet, nackt im Ketten liegend verhört, bewußtlos geschlagen und mit den ihm beigebrachten schweren Gehirnverletzungen halbtot, doch immer noch nackt und gefesselt in einem Jeep die Tausend-Kilometer-Strecke von Port Elizabeth nach Pretoria verfrachtet wurde, wo er einen Tag später starb.

Dem ersten Film der United British Artists ‘Champions’ (mit John Hurt in der Rolle des Jockeys Bob Champion, der das berühmte Grand-National-Rennen gewann, als die Ärzte ihn wegen seines Krebsleidens schon aufgegeben hatten) – dem Film ‘Champions’ soll die Verfilmung des Romans ‘Turtle Diary’ von Russell Hoban mit Glenda Jackson folgen sowie die Wiederaufnahme einer Schauspielinszenierung im Londoner Westend; zur Diskussion stehen ‘Everything in the Garden’ von Giles Cooper mit Diana Rigg und Simon Grays ‘Otherwise Engaged’ mit Alan Bates. Channel 4, der vierte britische Fernsehkanal, soll bereits die Senderechte für drei Produktionen der United British Artists erworben haben: für ‘The Biko Inquest’, für eine Inzenierung des Schauspiels ‘Serjeant Musgrave’s Dance’ von John Arden mit Albert Finney und für die Verfilmung der ersten Westendtheaterproduktion.

Daß die vereinigten Künstler der neuen britischen Schauspieler-Kooperative geschäftliche Interessen verfolgen, sich am großen Video-Boom beteiligen wollen, darf ihnen keiner verdenken. Daß sie die Zugkraft ihrer prominenten Namen überdies dazu nutzen wollen, Produkte mit einigem künstlerischen Wert unter die Leute zu bringen und damit das meist erbärmliche Niveau der Video-Branche anzuheben, muß uns freuen. Von wirklichem Erfolg wäre nur dann zu sprechen, wenn die Produktionen der United British Artists auch künstlerisch halten, was man uns verspricht.

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