die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1971
Text # 8
Autor George Bernard Shaw
Theater
Titel Captain Brassbound’s Conversion
Ensemble/Spielort Cambridge Theatre/London
Inszenierung/Regie Frith Banbury
Hauptdarsteller Ingrid Bergman
Neuinszenierung
Sendeinfo 1971.02.20(?)/BBC German Service/Kulturkaleidoskop

Ingrid Bergmann wieder auf einer Londoner Bühne: das klingt vielversprechend und lockt die Leute ins Theater. Man kennt die Schwedin aus zahlreichen Hollywood-Filmen, weiß von ihrer Ehe mit dem italienischen Regisseur Roberto Rosselini und denkt bei der Nennung des Namens vor allem an ihre ‘Jeanne d’Arc’, an Hemingways ‘Wem die Stunde schlägt’ und an ‘Anastasia’ - einsame Frauengestalten in einer von Männern beherrschten Umwelt.

Im Londoner Cambridge Theatre spielt Ingrid Bergman zurzeit die weibliche Hauptrolle in Bernard Shaws abenteuerlicher Komödie ‘Kapitän Brassbounds Bekehrung’. Es ist ihre erste Komödienrolle auf der Bühne und zugleich die erste Rolle in einem Stück von Shaw, der noch persönlich mit ihr über die Möglichkeit einer Aufführung seiner ‘Heiligen Johanna’ (mit Ingrid Bergman in der Titelrolle) verhandelt hatte. Stattdessen spielte sie in New York die ‘Johanna von Lothringen’ von Max Anderson. Und mit einer anderen Jeanne d’Arc, in Arthur Honeggers Oratorium ‘Johanna auf dem Scheiterhaufen’, stellte sich Ingrid Bergmann schon vor sechzehn Jahren dem Londoner Publikum vor. 1965 gastierte sie hier in dem Schauspiel ‘Ein Monat auf dem Lande’ von Iwan Turgenjew. Die Lady Cicely in ‘Kapitän Brassbounds Bekehrung’ führt sie zum dritten Mal auf eine Londoner Bühne.

Im Programmheft heißt es, daß sie Figur der Jeanne d’Arc seit frühester Kindheit ihr Idol gewesen sei. Als einzige Frau unter männlichen Abenteurern und Vagabunden in marokkanischer Wildnis trägt auch die Rolle der Lady in ‘Kapitän Brassbounds Bekehrung’ gewisse Züge jenes Idols. Mit typisch weiblicher Klugheit, Charme und Mut muß sie sich gegen die Männer behaupten; geschickt entgeht sie den vielseitig lauernden Gefahren und führt die verwickelte Handlung sicher zum happy end.

Nun, was der beherzten Lady im Stück so mühelos gelingt, bleibt der Schauspielerin leider versagt. Gegen die Tücken einer Starinszenierung, die sich auf die Popularität bekannter Film- und Fernsehdarsteller verläßt, die das Publikum schon bei ihrem ersten Auftritt freudig beklatscht, die zahlreichen Widerwärtigkeiten einer Inszenierung, die sich sonst nur durch das Fehlen jeglicher Regie auszeichnet, kommt die Schauspielerin nicht an. Von allen hilfreichen Geistern verlassen, wirkt die bezaubernde Ingrid Bergmann zeitweise wie eine Anfängerin, der noch die technischen Schwierigkeiten der Rolle über den Kopf wachsen.

Daß auch namhafte Darsteller zuweilen miserabel agieren, wenn sie sich selbst überlassen bleiben, ist eine Binsenweisheit, von der nur die Organisatoren solcher Startheaterinszenierungen nichts wissen wollen. Das Publikum aber, das sich mit der Eintrittskarte nicht nur das Recht erworben hat, Ingrid Bergmann in natura zu sehen, sondern auch eine Aufführung, die sich im Zentrum einer Theatermetropole sehen lassen kann, wird darum schlichtweg betrogen.

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