die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1974
Text # 66
Autor Athol Fugard/John Kani/Winston Ntshona
Theater
Titel The Island
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Athol Fugard
Hauptdarsteller John Kani/Winston Ntshona
Brit. Erstaufführung
Sendeinfo 1974.01.04/SR II (Tel.bericht) 1974.01.05/SWF Kultur aktuell 1974.01.07 ORF Wien 005/Royal Court Theatre/London

Die Insel, auf die sich der Titel des Stückes bezieht, ist Robben Island, sieben Meilen von Kapstadt entfernt im atlantischen Ozean. Robben Island war früher Leprastation, dann Irrenasyl, heute ist es Südafrikas strengst bewachtes Gefängnis für politische Häftlinge. Athol Fugards Stück spielt in einer Zelle dieses Gefängnisses.

Es ist das erste einer Serie, die das Londoner Royal Court Theatre als südafrikanische Trilogie zwischen Januar und März 1974 vorstellt. Unter der Regie des weißen Autors spielen John Kani und Winston Ntshona, zwei schwarze Schauspieler aus der Theatergruppe, mit der Fugard zehn Jahre in Port Elizabeth zusammenarbeitete. Sie zeichnen als Mitautoren.

Als kleines Podest auf leerer Bühne erscheint die Zelle, in der die beiden Gefangenen hausen, selbst als Insel, Symbol der Verlassenheit, auf der die zum eheähnlich intimen Zusammenleben verurteilten Zellengenossen einer ungewissen Rettung entgegenhoffen.

Das Stück beginnt mit einer zehn Minuten langen Pantomime: Graben, Schaufeln, Karren von Sand. Die Anstrengung, Monotonie und Mechanik der sich schier endlos wiederholenden Bewegungen erinnern an die Plackerei der schwarzen Arbeitssklaven, die in den Bergwerken Südafrikas nach Kohle, Gold und Diamanten für ihre weißen Herren graben.

Die beiden Gefangenen gestehen ein, daß sie einander zuweilen hassen. Sie brauchen die Tröstungen des anderen, teilen die Qualen einer Behandlung, die menschliche Würde zum animalischen Überlebenstrieb reduziert. Folter, Schikanen und Demütigungen gehören zum Alltag ihres zerstörten Lebens. Mit Wunschtraumszenen, die sie sich abwechselnd vorspielen, versuchen sie das Grauen zu überwinden, das sie umgibt: kleine Inseln illusionäreren Glücks, bevor Einsamkeit wieder wie eine große Woge über ihnen zusammenschlägt.

Die überraschende Nachricht, daß die Haftzeit des einen verkürzt worden sei und er schon in drei Monaten entlassen werde, führt das Verhältnis der Zellengenossen in die Krise. Das Countdown der noch verbleibenden gemeinsamen Tage wird von dem weniger glücklichen Partner als grausame Drohung empfunden und komprimiert verdrängte Aggressionen (“Du stinkst nach Freiheit!”). Nur die Furcht, daß selbst die Aussicht auf baldige Entlassung psychologisches Kampfmittel zur Demoralisierung der Eingekerkerten sein könnte, treibt sie zurück in die Solidarität.

Als Spiel im Spiel steht am Ende des Stückes die Aufführung einer eigenen Version der klassischen ‘Antigone’. Hinter der unfreiwilligen Komik der Darstellung tritt die Tragik der realen Situation umso unheimlicher hervor.

Antigone, Sinnbild des Widerstandes gegen die Tyrannei, – daß ein solches Stück in einem südafrikanischen Gefängnis aufgeführt werden könnte, wäre kaum vorstellbar, gäbe es nicht den Fall des Theatermannes Athol Fugard, dessen Stücke in seinem Heimatland zwar nur in halb öffentlichem Rahmen, bei Verbot jeder Art von Publicity, gezeigt werden dürfen, der aber immerhin die Erlaubnis erhielt, sie in London unter regulären Bedingungen vorzustellen.

So wird am Autor der Stücke und seinen schwarzen Schauspielern etwas gutgemacht von dem Unrecht, das sie selber erfuhren, nicht aber von dem, das denen widerfährt, die in den Kerkern Südafrikas weiterhin unschuldig leiden.

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