die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1989
Text # 248
Autor Tariq Ali & Howard Brenton
Theater
Titel Iranian Nights
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Uraufführung
Sendeinfo 1989.04.22/SWF Kultur aktuell/RB/DLF/RIAS 1989.04.24/SRG Basel/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Sicherheitskontrollen waren strikter als je zuvor. Alle Taschen und Handtaschen wurden durchsucht, ihr Inhalt betastet, als sei man davon überzeugt, daß einer von uns die Bombe bei sich trage, die das Haus in die Luft jagen werde. Die Menschen, die in Trauben vor dem Eingang standen und warteten, bis sie an die Reihe kamen, begehrten nicht etwa Einlaß in die amerikanische Botschaft oder in ein nordirisches Gefängnis, sondern ins Londoner Royal Court Theatre, um eine der neun Aufführungen eines Stückes zu sehen, das sich auf die Salman-Rushdie-Affäre und die durch den Mordbefehl des Ayatollah Khomeini ausgelöste Panik bezieht.

Das Erschreckende war ja dabei, daß der wahnwitzige Mordbefehl eines orientalischen Potentaten ernst genommen werden mußte. Ein britischer Autor hielt es für nötig, sich in ein bewachtes Versteck zu verkriechen und Verleger, Buchhändler, Politiker, Autorenkollegen und Theaterleute erfaßte Angst um die persönliche Sicherheit. Neben mutigen Protesten und den von Tausenden unterzeichneten Solidaritätserklärungen für den bedrohten Schriftsteller gab es auch deutliche Zeichen der erfolgreichen Einschüchterung. Und auf einmal wurde es still um die Sache, so still, daß man befürchten mußte, die britische Öffentlichkeit habe sich mit dem Unfaßbaren abgefunden und wisse nichts weiter zu tun, als den armen Poeten, der mit seinem Buch den Haß der Fanatiker geweckt hatte, seinem Schicksal zu überlassen.

Um dieser Gefahr zu begegnen, haben sich die Autoren Tariq Ali und Howard Brenton zusammengetan und in fünf Tagen den Text eines Stückes verfaßt, das ihren ‘Bruder-Autor’ Salman Rushdie und, wie es heißt, “dem besseren Verständnis der islamischen Kultur“ gewidmet ist. ‘Iranische Nächte’ versteht sich als “bescheidene Übung über das Recht der Freiheit des Ausdrucks“.

“Die Situation, die entstanden ist, wird sich nicht von selbst auflösen”, schreibt Howard Brenton. “Wenn sie ungelöst bleibt, kann uns das in eine kulturelle und rassische Krise führen, die unser nationales Leben auf Jahrzehnte hin vergiften wird”.

‘Iranische Nächte’ ist ein Stück für drei Darsteller, das nur eine knappe Stunde dauert und nicht den Anspruch erhebt, große Bühnendichtung zu sein. Das Spiel beginnt wie eine Geschichte aus der berühmten Sammlung von Märchen, Novellen, Legenden, Anekdoten, Parabeln und Gedichten ‘Tausenundeine Nacht’, die im zehnten Jahrhundert aus dem Persischen ins Arabische übertragen wurde und bis heute als eines der kostbarsten literarischen Werke des Orients gilt.

Ein von seiner ersten Gemahlin betrogener Kalif läßt sich jeden Abend eine neue Jungfrau zuführen und am Morgen nach der Liebesnacht töten – bis er an die schöne Scheherezade gerät, die mit ihren wunderbaren Geschichten den Rachsüchtigen so lange hinzuhalten versteht, bis er ihr schließlich das Leben schenkt. Scheherezade ist bei der 874. Geschichte angelangt. Sie handelt von einem persischen Kaiser, der mit Satans Hilfe eine Herrschaft des Schreckens ausübt. Ein im Exil lebender ‘Heiliger Mann’ sorgt für den Sturz des Tyrannen, macht sich zum Führer des persischen Volkes und wird dann selbst vom Teufel besessen. In Kriegen und grausamen ‘Säuberungen’ bringt er Millionen seiner Landsleute um. Er sucht nach einem Mittel, sein zerrissenes Volk wieder zu einen. Da erreicht ihn böse Kunde: auf einer fernen kleinen Insel, wo zwei Königinnen auf einem einzigen Thron sitzen, habe ein Dichter ein blasphemisches Gedicht geschrieben. “Worin bestand die Blasphemie?“, fragt der Kalif und erfährt: “Man weiß es nicht. Es war ein Buch, das keiner lesen konnte. Ohne weiter nachzudenken, befahl der ‘Heilige Mann’: ‘Bringt mir den Kopf des Poeten!’. Die kleine Insel erzitterte und Angst breitete sich aus”.

Wie die Geschichte dann weiter berichtet, habe der Dichter beschlossen, den ‘Heiligen Mann’ aufzusuchen und mit ihm zu debattieren. Er fragt: Hat der Prophet nicht ausdrücklich die Schaffung eines Klerus verboten? Warum sind alle deine Kriege gegen Glaubensbrüder gerichtet? Kannst du den Namen Gottes nur durch das Abschlagen von Köpfen verbreiten? In deinem letzten Exil, welche muslimische Stadt war bereit, dich aufzunehmen und vor Verfolgung zu schützen? Bist du sicher, daß du selbst in den Himmel kommst? – die Fragen des Dichters bleiben ohne Antwort.

Deprimiert von der Geschichte verlangt der Kalif nach tröstenden Worten aus dem Koran. “Wo Unterdrückung herrscht, da stirbt der Vogel im Nest”; “Die Tinte eines Gelehrten ist heiliger als das Blut der Märtyrer” – solche und ähnliche Sprüche aus dem heiligen Buch des Propheten bewirken auf einmal eine wunderbare Verwandlung: der Kalif entschließt sich zur Emigration in den Westen, läßt sich in England nieder, gründet eine Familie – und gerät in erbitterte Auseinandersetzungen mit seinem fanatischen Sohn, der gemeinsam mit anderen islamischen Fundamentalisten das Buch eines englischen Dichters verbrennt und davon überzeugt ist, daß eines Tages alle Briten zum islamischen Glauben übertreten werden.

Scheherezade berichtet weiter, daß auch sie schließlich nach England zurückgekehrt sei und nun in der Stadt London lebe, unter vielen braunhäutigen Emigranten, die unter der Rassendiskriminierung leiden. Und sie endet mit einem Gedicht, in dem es heißt: Je mehr über die Natur Gottes und des Menschen geschrieben und gesprochen werde, umso besser für alle: “Gibt es einen schöneren Klang als den eines Menschen, der gegen Grausamkeit singt und gegen Haß?”.

Das Stück ‘Iranian Nights’ wird – und das wissen die Autoren – in der durch Khomenis Mordbefehl ausgelösten Krise keine schnelle Wende oder Lösung bringen. Aber Tariq Ali und Howard Brenton hoffen, daß es als bescheidenes Zeugnis “für den Reichtum und die Vielfalt der islamischen Kultur und ihre Humanität“ verstanden wird, als Geste “gegen tödlichen Fanatismus, für Toleranz“.

Bedauerlich ist daran nur, daß uns das Stück im Royal Court Theatre in einer selbst im Hinblick auf die Kürze der Zeit unverzeihlichen, vollkommen unzureichenden, geradezu dilettantischen Aufführung vorgestellt wird, die den bösen Humor und die Ironie des Textes vergröbert, die Autorität des Appells schmälert und die poetischeren Passagen einfach untergehen läßt.

Nach Oben