die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1984
Text # 199
Autor Barrie Keeffe
Theater
Titel A Mad World My Masters
Ensemble/Spielort Theatre Royal Stratford East/London
Inszenierung/Regie Jane Howel
Hauptdarsteller Jeanette Legge/Trevor Martin/Imelda Staunton
Neuinszenierung
Sendeinfo 1984.06.19/SWF Kultur aktuell/RB/SFB/SR/Nachdruck: Darmstädter Echo

Barrie Keeffe kommt aus dem Londoner Osten, dem Milieu der Cockneys, in dem die meisten seiner Stücke spielen, verließ die Schule mit siebzehn, schlug sich durch, erlebte die Großstadt unter denen, die schlimm beginnen und, weil die Gesetze bestehendes Unrecht schützen, zur Gaunerei getrieben, auch einem schlimmen Ende entgegensehen. Im Unterschied zu seinen älteren Kollegen mit Rang und Namen, den als ‘university wits’ (akademische Geister) apostrophierten Brenton, Hare, Barker, Poliakoff oder Heathcote Williams, hat Keeffe, so heißt es mit Recht, ein Gespür für Menschen in Not, das nicht aus dem Kopf, sondern gewissermaßen aus dem Bauch kommt. “Er vermittelt dem Publikum ein Gefühl für Verarmung als Seinszustand, nicht als soziologisches Faktum”.

Keeffe schreibt über Menschen, die scheitern, die als Versager gelten, deren Ohnmacht Verzweiflung wird, welche umschlägt in Neid, Haß und selbstzerstörerische Gewalt. Das vor sieben Jahren uraufgeführte Schauspiel mit dem von Thomas Middleton, einem jüngeren Zeitgenossen Shakespeares, entliehenen Titel ‘A Mad World My Masters’, eine Gesellschaftssatire im Stil der jakobinischen ‘City Comedy’, zeigte eine neue Seite der Begabung des Autors: sein Talent fürs Komödiantische.

‘A Mad World My Masters’ ist eine Gaunerkomödie, in der – wie im wirklichen Leben – die kleineren Gauner trotz aller Gerissenheit den größeren Gaunern hoffnungslos unterlegen sind. Neben Middleton haben Ben Johnson und Georges Feydeau Pate gestanden. Und doch: Keeffes ‘Irre Welt’ in der Neufassung des Stückes für die 100Jahrfeier des Theatre Royal Stratford East ist die Welt der Margret Thatcher, deren bonapartistisches Regime die übelsten Züge des Menschen im Kampf ums Dasein zutage fördert.

Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall des skrupellosen Geschäftsmannes Horace Claughton, den die Gier nach Geld, Macht, einem Ehrentitel der Königin und eine verhängnisvolle Schwäche für blutjunge Mädchen über Leichen gehen läßt. Ihm gegenüber steht die Familie Sprightly und eine Clique kleiner Ganoven, die unter der Führung von Großmama mithilfe eines trickreichen Journalisten und mit falschen Attesten eines versoffenen irischen Arztes den geilen Kapitalisten reinzulegen versucht, ein abscheuliches Monstrum, das nicht nur beim Anblick kleiner Mädchen, sondern beim bloßen Gedanken an die Queen und ihre Eiserne Lady sichtbar in sexuelle Ekstase gerät.

Höhepunkt des witzigen Täuschungsmanövers (und zweifellos auch einer der Höhepunkte der Inszenierung im Theatre Royal) ist eine Szene, die schon Wochen vor der Premiere einige der um den rapiden Verfall von Sitte und Anstand in den unteren Schichten des Volkes besorgten Abgeordneten des Londoner Stadtparlaments in helle Aufregung versetzte: das Striptease einer Maggie-Thatcher-Figur, die mit lasziven Bewegungen und frivol kreisendem Handtäschchen, mit markigen Sprüchen und dem verlogenen Tonfall der allen bekannten Stimme ihre nackten Tatsachen offenbart, eine herrlich absurde Rede, die mit den Worten der nun gänzlich entblätterten Lady schließt: “Wir sind Erwachsene, wir sind britisch, und wir werden es schaffen, wenn wir alle zusammen kommen”.

Die Szene wirkt, nicht nur für Horace Claughton, der angesichts der falschen eisernen Lady seinen Sexualtrieb nicht länger bändigen kann. Der Komplott der Sprightlys scheint gelungen – wäre da nicht Superintendent Sayers von Scotland Yard, der dem Dockland-Magnaten noch einmal zuhilfe kommt und ihm die Aussicht auf den königlichen Titel bewahrt, eine Aussicht, die Claughton selbst, der sich, erneut getäuscht, in absurder Verkleidung im Buckingham Palace einstellt, wiederum zunichte macht.

Jane Howell hat mit ihrer farbigen Inszenierung im Theatre Royal etwas von der ausgelassenen Music-Hall-Stimmung rekreiert. Das Publikum folgt den witzigen Dialogen der irrwitzigen Szenen mit einer Heiterkeit, die ansteckend wirkt. Der Spaß an komödiantischen Tricks, an Täuschung und Maskerade vernebelt die Schärfe der politischen Satire, mildert den Zynismus des politischen Pamphlets. “Daß es dem Stück an politischer Überzeugungskraft mangelt“, schrieb Charles Marowitz nach der amerikanischen Premiere, “macht es so erfolgreich als Farce”.

Jeanette Legge in der Rolle der Hausfrau, die uns die nackte Wahrheit der Madame Thatcher ausstellt, Trevor Martin als geiler Millionär und Imelda Staunton als dessen hysterische Tochter, eine hilflos verwirrte Sozialhelferin, verdienen unter den Darstellern der Charakterkarikaturen ein Sonderlob.

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