die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1991
Text # 339
Ausstellung
Titel Japan and Britain
Ensemble/Spielort Barbican Gallery/London
Sendeinfo 1991.10.18/WDR/SDR/RIAS/DS Kultur/SRG Basel

Zur Feier des 100-jährigen Bestehens der Britischen Japangesellschaft findet in Großbritannien in diesen Wochen und Monaten ein großes Japanfestival statt mit hunderten von Veranstaltungen in allen Teilen des Landes, Konzerten, Theater-, Kunst-und Filmvorstellungen, Sumo-Ringkämpfen und vielen anderen Darbietungen.

Eine der interessantesten Ausstellungen im Rahmen des Japanfestivals wurde in der Londoner Barbican Gallery eröffnet. Sie nennt sich ‘Japan und Großbritannien – Ein ästhetischer Dialog’.

Es ist der erste Versuch, eine möglichst umfassende Dokumentation des kulturellen Austauschs der beiden Länder, insbesondere in den Bereichen bildende Kunst, Architektur und Design, seit der Öffnung des Handelsverkehrs in der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zur Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als der bis dahin für beide Seiten sehr fruchtbare Dialog abgebrochen werden mußte. Die Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt japanischer und britischer Museen. Sie wurde zusammengestellt von zwei in London ansässigen japanischen Kunstwissenschaftlern und soll im nächsten Jahr auch in Tokio gezeigt werden.

Als das japanische Kaiserreich 1858 zunächst mit Großbritannien, dann auch mit den USA, mit Holland, Frankreich und Rußland Handelsverträge abschloß und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen vereinbarte, bedeutete dies das Ende einer über zweihundert Jahre andauernden selbst auferlegten Isolation. Die zunächst noch begrenzte Öffnung des Landes für den Handelsverkehr mit Europäern und Amerikanern war der Anfang eines kommerziellen und kulturellen Austauschs, der für beide Seiten weitreichende Folgen hatte.

Durch seine Vormachtstellung in Europa und dank seines technologischen Fortschritts übernahm Großbritannien bei der Entwicklung des Handelsverkehrs mit Japan die führende Rolle. Die Faszination, die von dem geheimnisvollen ostasiatischen Inselreich und seinen Kunstgegenständen, die nun in großer Zahl nach Europa gelangten, ausging, führte in England zu einem Japankult, der bald unter dem Begriff ‘Japonismus’ auch in anderen westlichen Ländern bekannt wurde und viele europäische Künstler beeinflußte.

Die große Internationale Ausstellung von 1862 in London enthielt die umfangreichste Sammlung von japanischen Kunst- und Gebrauchsgegenständen, die man je im Westen gesehen hatte. Die viktorianischen Künstler waren davon so beeindruckt, daß die meisten von ihnen – wie jedermann, der es sich leisten konnte – Japonica zu sammeln begannen.

Der zunächst in Paris, dann in London wirkende amerikanische Maler James McNeill Whistler war der erste, der nicht nur den dekorativen Wert japanischer Kunstgegenstände zu schätzen wußte und sie in seinen Gemälden als exotische Requisiten verwendete, sondern sich auch japanische Kompositionsprinzipien zu eigen machte, wie die asymmetrische Bildaufteilung oder die Reduktion auf ausdrucksstarke einfache Linien und subtile Farben.

Whistler und sein französischer Kollege und Freund James Tissot, der nach dem Fall der Pariser Kommune 1871 in London politisches Asyl fand, wurden die einflußreichsten Künstler des ‘Japonismus’, dessen Spuren sich auch in den Arbeiten der präraffaelitischen Maler um Dante Gabriel Rosetti nachweisen lassen. Eine Reihe britischer Künstler begab sich zu ausgedehnten Studienreisen nach Japan, und der Einfluß der japanischen Kunst war für den jungen Aubrey Beardsley, der sich enthusiastisch dazu bekennt, wie für den Glasgower Architekten und Innenarchitekten Charles Rennie Mackintosh, der dies verschweigt, ganz offensichtlich gleichermaßen entscheidend.

Arthur L. Liberty, der Gründer des Londoner Kaufhauses Liberty, das sich auf Japanprodukte spezialisierte, sie dann auch eigens für den europäischen Markt in Japan anfertigen ließ, hatte wesentlich zur Entstehung des Japankults in Großbritannien beigetragen. Auch das Theater schwamm auf der Japanwelle, die 1885 mit der Uraufführung der Operette ‘Der Mikado’ von Gilbert and Sullivan ihren Höhepunkt erreichte. Die Inszenierung mit ihren prächtigen, aus echten Japanstoffen des Hauses Liberty geschneiderten Kostümen brachte es bis 1896 auf eintausend Vorstellungen.

Während der japanische Einfluß auf eine Vielzahl europäischer Künstler vor und nach der Jahrhundertwende, besonders auf den in derselben Zeit sich entwickelnden Jugendstil, schon lange bekannt war, haben wir wegen der uns eingefleischten eurozentrischen Haltung gegenüber anderen Teilen der Welt von den Rückwirkungen auf die japanische Gesellschaft bisher kaum Notiz genommen. Die Londoner Ausstellung zeigt, daß die Entwicklung für die Japaner mindestens ebenso folgenreich war.

Das westliche Interesse an japanischen Kunstgegenständen führte zunächst durch die Massenproduktion immer schlechterer Kopien zu einem drastischen Absinken der künstlerischen Qualität. Durch die nach Japan verpflichteten europäischen Architekten und Kunsterzieher sowie die Studienaufenthalte japanischer Künstler in Europa orientiert sich ein Teil von ihnen mehr an westlichen Vorbildern als an der eigenen Tradition. Bei einigen ergeben sich aufgrund der verschiedenen Einflüsse, Rückwirkungen und Querverbindungen, besonders zum Jugendstil, formal interessante Synthesen.

Nur von einem der Künstler, die bewußt oder unbewußt darum bemüht waren, durch ihre Kunst “Ost und West zu verknüpfen”, läßt sich mit Sicherheit sagen, daß ihm dies wirklich gelang. Der Engländer Bernard Leach ging 1909 nach Japan, um dort die Technik des Kupferstichs zu lehren, merkte aber sehr bald, daß er vielmehr selbst von den Japanern lernen wollte. Er lernte die alte japanische Kunst des Töpferns – und wurde zum berühmtesten und einflußreichsten britischen Keramikkünstler dieses Jahrhunderts, dessen Freundschaft und enge Zusammenarbeit mit japanischen Künstlern und Intellektuellen auch nach dem Zweiten Weltkrieg, der die Völker trennte, dafür sorgte, daß der in der Mitte des vorigen Jahrhunderts begonnene Dialog weitergeführt werden konnte.

Nach Oben