die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1983
Text # 191
Autor Christopher Adler & Julian Barry/Marvin Hamlisch
Musical
Titel Jean Seberg
Ensemble/Spielort Olivier Theatre/National Theatre/London
Inszenierung/Regie Peter Hall
Hauptdarsteller
Uraufführung
Sendeinfo 1983.12.02/SWF Kultur aktuell/RB/DLF/SR/ORF Wien Nachdruck: Darmstädter Echo

“Die Lebensgeschichte der amerikanischen Filmschauspielerin Jean Seberg hat alle Ingredienzen eines klassischen Hollywood-Melodramas“, hieß es in einem der vielen Artikel, die in den letzten Wochen vor der Premiere die Leute neugierig machen sollten auf ein Ereignis, dem einige mit großer Skepsis entgegensahen. Nac Evita Peron, Edith Piaf, Marilyn Monroe und Mata Hari nun also die Musicalisierung der Lebensgeschichte eines weiteren weiblichen Idols: Jean Seberg, das unscheinbare Mädchen mit der Jeanne-d’Arc-Frisur, dem kurz geschorenen Schädel der Heiligen, die der 17jährigen Schülerin aus Marshalltown, Iowa, zum Schicksal werden sollte, als sie unter 18.000 Mitbewerberinnen die Titelrolle in Otto Premingers Film ‘Saint Joan’ für sich gewann.

Der Film wurde künstlerisch ein Fiasko. Jean, die während der Aufnahmen der Scheiterhaufenszene in einem Londoner Studio um ein Haar wirklich verbrannt wäre, wurde nach der Fertigstellung des Films das Opfer einer wahrlich vernichtenden Kritik, von der sie sich trotz späterer Erfolge, vor allem in Godards ‘Bout de Souffle’ und in ‘Lilleth’ (der Rolle einer jungen Schizophrenen) zeitlebens nicht erholt zu haben scheint. 1979, nach mehreren gescheiterten Ehen und jahrelangen Aufenthalten in Nervenheilanstalten, wurde der Leichnam der inzwischen 41-jährigen Jean Seberg auf dem Rücksitz ihres in einer Pariser Hintergasse geparkten Wagens aufgefunden. Sie war bereits zehn Tage tot.

Die Geschichte wäre, trotz aller menschlichen Tragik, einigermaßen banal, gäbe es nicht einen Aspekt, der von allgemeinerem Interesse ist: Weil sie mit der schwarzen amerikanischen Bürgerrechtsbewegung sympathisierte und sie offen unterstützte, hatte der FBI im Auftrag seines damaligen Chefs Edgar Hoover durch eine über die Presse lancierte Verleumdungskampagne dafür gesorgt, daß die Seberg ‘neutralisiert’, was hier bedeutet, durch seelischen Terror vernichtet wurde . Daß sie schließlich selbst mit Pillen und Alkohol dem Kesseltreiben ein Ende setzte, schien dagegen fast Nebensache zu sein.

Der Komponist Marvin Hamlisch und die Autoren Christopher Adler und Julian Barry haben gemeinsam mit Peter Hall eine Bühnenschau entwickelt, die den Prozeß und die Verbrennung der Jeanne d’Arc, ihre Verfilmung und die Hexenjagd des FBI auf Premingers einstige Johanna geschickt überblendet, ein Stück, das wegen seines ernsten Themas ernst genommen werden will als “Geschichte, die – wie Antigone und Medea – einen jeden von uns angeht”. Der in den Vordergrund gespielte politische Akzent wird zum Alibi einer musikalisch wie textlich ziemlich seichten Hollywood-Operette, die, wie das in dieser Branche üblich ist, weniger aufs kritische Bewußtsein, als auf die Tränendrüsen drückt.

Intendant und Regisseur Peter Hall hatte Mühe, sich gegen den Verdacht zu behaupten, er habe das Nationaltheater zur Probenbühne eines von vornherein für den Broadway geplanten, nur auf diese Weise (mit britischen Steuergeldern) viel billigeren kommerziellen Vorhabens degradiert. Wenn wir das Thema ernst nehmen sollen, so wurde gefragt, warum dann ein Musical, und warum ausgerechnet hier, auf der größten Bühne des Nationaltheaters?

Peter Hall erklärt: Ein Schauspiel zu diesem Thema wäre sehr viel schwerfälliger gewesen. Das Stück sei konstruiert wie ein Film und darum flexibler. Mit Musik lasse sich eine solche Geschichte viel besser erzählen; und vor allem: man brauche Musik, um die Emotionen zu befreien. – Und damit ist dann auch eigentlich alles gesagt.

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