die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 40
Autor Franz Kafka/ Steven Berkoff
Theater
Titel Die Verwandlung u.a.
Ensemble/Spielort London Theatre Group/ Hampstead Theatre Club/London
Inszenierung/Regie Steven Berkoff
Hauptdarsteller Sterven Berkoff
Uraufführung
Sendeinfo 1972.08.03/SWF Kultur aktuell

Ein neuer Versuch, Kafka auf die Bühne zu bringen: Steven Berkoff und seine London Theatre Group zeigen ‘Die Verwandlung’ und acht Kurzszenen nach Franz Kafka. Berkoff hat sich der Theatralisierung der Kafkaschen Texte mit der Leidenschaft eines Besessenen verschrieben. Seine früheren Adaptationen – ‘In der Strafkolonie’ und ‘Der Prozeß’ – haben ihn berühmt gemacht als, wie es heißt, einzigen Theatermann in England, dessen Kafka-Stücke von den Hütern seines literarischen Erbes anerkannt wurden als Experimente, die Respekt verdienen, weil sie den Geist des Originals bewahrt und die Möglichkeit der szenischen Darstellung bewiesen hätten.

Steven Berkoff kommt von der Pantomime; er studierte in Paris bei Jacques Lecoq – und seine Kafka-Stücke sind pantomimisch konzipiert. Die Sprache ist die der Mime Pure, ergänzt durch ostasiatische Elemente und, wie mir scheint, auch beeinflußt vom ebenso kühlen wie expressiven Tanzstil Maurice Béjarts.

Berkoffs Kafka-Abend im Hampstead Theatre Club besteht aus zwei Teilen: aus einer Folge von knappen Mono-, Duo- und Trioszenen nach Kurzerzählungen aus Kafkas Nachlaß im ersten Teil – und der szenischen Darstellung der ‘Verwandlung’ im zweiten. Die sechs Darsteller treten auf in Trikots mit blaß geschminkten Gesichtern; dieses Grundkostüm wird erst im zweiten Teil zur stärkeren Charakterisierung der handelnden Personen durch jeweils bezeichnende Kleidungsstücke ergänzt.

Der erste Teil des Abends wirkt wie eine Einstimmung des Publikums auf Sprache und Darstellungsstil der Gruppe und erinnert damit an das (von manchen Solo-Pantomimen noch heute geübte) Schema, die Vorstellung mit einer Einführung in die Technik der Pantomime beginnen zu lassen. In diesem Fall wird der Kafka-Text von einem an der gestischen Aktion nicht beteiligten Schauspieler oder von den Akteuren selbst entweder in dritter Person oder in Ich-Form gesprochen und die Sprache durch pantomimische Darstellung kontrapunktiert. Das führt zu überraschenden, mitunter ausgesprochen komischen Verfremdungen, wenn die bildhafte Sprache beim Wort genommen und gestisch sichtbar gemacht wird. Problematisch wird es jedoch, wenn die Geste nur noch illustriert, was der Text schon viel nachhaltiger zum Ausdruck bringt.

Der zweite Teil wirkt geschlossener, einheitlicher und stärker als die Szenenfolge des ersten, weil der längere Text auch szenisch mehr hergibt. Berkoff, der selbst die Rolle des Gregor spielt, gelingt es, die Schrecken der grauenhaften Metamorphose eines menschlichen Wesens in die Gestalt eines monströsen Käfers beängstigend mitzuteilen. Der Text ist in Ich-Form aufgelöst und auf die Personen der Handlung verteilt. Das geht streckenweise erstaunlich glatt auf; es gibt knappe Dialoge und Monologe, die durch gestisch-pantomimische Brücken verbunden werden. Schwierig wird es auch hier, sobald rein sprachlich gedachte und darum nicht ins Szenische übertragbare Momente durch illustrierende Gesten dargestellt und darum tautologisch wirken. In solchen Augenblicken hat man das Gefühl, daß der Kafkasche Text sich gegen jede szenische Darstellung sträubt, offensichtlich der Hauptgrund für die wohl immer wieder unterschätzten Probleme bei den zahlreichen Versuchen der Dramatisierung und Verfilmung von Kafkas Prosatexten. Steven Berkoff, der eine Schwächung oder Unterschätzung der Stärke des Textes unter allen Umständen vermeiden will, hilft sich durch Angleichung der Sprechweise an die kühle Technik seiner gestischen Sprache und duldet nur bei besonderen Höhepunkten der Erregung entsprechend explosive vokale Ausbrüche, kann aber dadurch dem Dilemma selbst nicht entfliehen.

Kafka auf der Bühne bleibt auch nach diesem neuen, wirklich respektablen Versuch ein ungelöstes Problem.

 

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