die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1986
Text # 217
Autor Alan Bennett
Theater
Titel Kafka’s Dick
Ensemble/Spielort Royal Court Theatre/London
Inszenierung/Regie Richard Eyre
Uraufführung
Sendeinfo 1986.09.26/SWF Kultur aktuell/DLF/Nachdruck: Darmstädter Echo

“‘Kafka’s Dick’ ist ein Stück über Biographie“, hieß es in einer Ankündigung, “die Biographie Kafkas im Besonderen, literarische Biographie im Allgemeinen. Es geht um das Verhältnis des Biographen zu seinem Gegenstand und des Autors zur eigenen Reputation“.

Sydney, ein braver Versicherungsangestellter mittleren Alters, möchte über Kafka schreiben, mit dem ihn, wie er glaubt, das eine oder andere verbindet: auch Kafka arbeitete bei einer Versicherungsgesellschaft, auch Sidney litt unter Tuberkulose und wie Kafka haßt er den eigenen Namen. Und so vertieft er sich in die biographischen Details seines Idols – bis es eines Tages an seiner Wohnungstür klingelt und Max Brod, der Freund des Dichters, dem wir die Erhaltung der Werke Kafkas verdanken, in Sidneys guter Stube steht und die Schildkröte, die seine Frau Linda als Haustier hält, sich in Franz Kafka selbst verwandelt.

Linda eilt zum Bücherregal und versucht, den in seine Kafka-Welt versponnen Ehemann anhand des Literaturlexikons daran zu erinnern, daß sein Autor bereits vor über sechs Jahrzehnten starb und Max Brod ihm 1968 von Tel Aviv aus ins Jenseits folgte. Sie hält die Männer für ein Einbrecherpaar und verständigt die Polizei. Ein Inspektor kommt – und entpuppt sich als der berüchtigte Vater des Dichters Franz Kafka. Und die Sozialhelferin, die Sidneys senilen Vater besuchen zu wollen schien, gibt sich schließlich als Kafkas Mutter zu erkennen.

Diese Folge wunderlicher Erscheinungen ist das dramatische Gerüst eines Stückes, das die Fragwürdigkeit literarischer Biographien zu demonstrieren vorgibt und die Biographen als “akademische Schmeißfliegen” apostrophiert, “die sich an den Exkrementen berühmter Leute laben”. Wobei dem Autor des Stückes offenbar entgangen ist, daß er selbst sich ganz ähnlicher Methoden bedient, wenn er sich zum Zwecke des billigen Gelächters den Dichter zum psychopathischen Clown zurichtet und mit der Karikatur des auf die privaten Kuriosa und Intimitäten geilen Biographen sein Opfer Kafka ebenso schamlos fleddert.

Was sich als Lustspiel versteht, ist zum theatralischem Klamauk geraten, der sich an Geschmackslosigkeiten aller Art kaum noch unterbieten läßt. Max Brod überreicht bei seiner Ankunft die tropfnasse Schildkröte, über die er im Vorgarten, wo sie umherlief, versehentlich gepinkelt hat. Linda trägt sie zum Waschbecken in die Küche, um sie abzuspülen, und sorgt durch einen Kuß auf das Köpfchen des Tieres für dessen Verwandlung in den Dichter Kafka.

Nach der ausgiebigen Verulkung des Verlangens, seine Werke nach seinem Tod zu vernichten, seines Pessimismus und seiner Selbstverachtung konzentriert sich der Spott auf Kafkas Angst vor dem übermächtigen Vater, der seinen Sohn aufs Widerlichste beschimpfen darf (“Mein Sohn ist ein halber Verbrecher, ein gebrauchter Kondom“; “du schwankende Urinsäule!”). Seine Texte bezeichnet er als “abgestanden wie Pisse auf dem Teller. Erst wenn er für Reader’s Digest schreibt, werde ich ihn lesen“.

Und ihm, dem Vater, bleibt es schließlich auch vorbehalten, auf die unflätigste Weise auszuführen, worum es bei den zahlreichen Anspielungen auf den (auch im Titel des Stückes genannten) männlichen Körperteil geht: Um die Hypothese zweier amerikanischer Psychologen, die nach gründlicher Textanalyse zu dem Ergebnis kamen, der Autor Franz Kafka habe wahrscheinlich einen sehr kleinen Penis gehabt.

Die Sprache des Stückes ist frivol und schreckt vor den albernsten Kalauern nicht zurück. Brod nennt Kafka den “tschechischen Tschechow“, den “Prager Proust”, weil sich’s so schön alliterieren läßt. Sidney beschreibt seine Frau: “Sie ist keine Intellektuelle, nur eine ehemalige Krankenschwester. Spricht man von Heidegger, hält sie es für ein Bier“.

Das Publikum schien solche Scherze sehr lustig zu finden und reagierte mit wieherndem Gelächter. Der Kritiker des ‘Guardian’ sprach von dem Stück als einer “witzigen, eleganten theatralischen Phantasmagoria”, mit welcher der Autor Alan Bennett sich für Kafka und die Würde der Privatssphäre eines Künstlers engagiere. Eine Operation, die mit dem Exitus des Patienten endet.

Nach Oben