die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1985
Text # 344
Ausstellung
Titel Art and Power
Ensemble/Spielort Hayward Gallery/London
Sendeinfo 1985.10.26/DR Berlin 1995.10.27/SDR 1995.10.30/WDR Mosaik/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Kunst im Dienst der politischen Macht – das ist das Thema einer großen Ausstellung, die unter der Schirmherrschaft des Europarats steht und soeben in der Londoner Hayward Gallery eröffnet wurde. Man hat nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fünfzig Jahre darauf warten müssen, bis es möglich schien, den systematischen Mißbrauch der Kunst als Propagandawaffe in den totalitären Regimes der Sowjetunion, Italiens und Deutschlands während der Dreißigerjahre zum ersten Mal umfassend zu dokumentarisieren.

Die Ausstellung macht deutlich, wie in den drei verschiedenen Machtbereichen verschiedene Wege beschritten wurden, die am Ende doch zu sehr ähnlichen Resultaten führten: zur Polarisierung zwischen der vom Staat geforderten oder anbefohlenen offiziellen Kunst auf der einen Seite und, auf der anderen Seite, den Werken von Künstlern, die sich der offiziellen Linie widersetzten und darum, sofern sie nicht vertrieben, verhaftet oder umgebracht wurden, nur privat, ohne Öffentlichkeit weiterarbeiten konnten.

Bei der Weltausstellung 1937 in Paris traten die politische Spannungen zwischen den rivalisierenden Mächten Europas bereits so deutlich zutage, daß man schon die Fronten des kommenden großen Krieges ahnen konnte, dessen Generalprobe seit einem Jahr im benachbarten Spanien zu laufen schien. Drei der zweiundvierzig ausländischen Pavillons erregten in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. An prominentester Stelle am Ufer der Seine standen sich die beiden Pavillons der Sowjetunion und Deutschlands in unverhohlenen Drohgebärden direkt gegenüber. Der spanische Pavillon zeigte neben Werken von Miró und Julio Gonzáles Picassos neues Wandgemälde ‘Guernica’ und nutzte die Gelegenheit, gegen die Verbrechen der von Hitler und Mussolini massiv unterstützten Falangisten unter ihrem General Franco in dem seit einem Jahr tobenden Bürgerkrieg vor der Weltöffentlichkeit zu protestieren.

Die auf Francos Seite stehende katholische Kirche hatte dem spanischen Künstler José Maria Sert erlaubt, im Pavillon des Vatikans ein großes Altarbild aufzustellen, das die den im ruhmreichen Kampf gegen die demokratisch gewählte Regierung gefallenen Männern gewidmet war.

Von Paris führt die Ausstellung weiter in die europäischen Hauptstädte Rom, Moskau und Berlin, die Hochburgen der faschistisch-nationalsozialistischen und stalinistischen Diktatur in den Jahren vor dem Ausbruch des weltweiten Krieges.

Im Unterschied zu den Verhältnissen in der Sowjetunion und in Deutschland während des Dritten Reiches genossen die Künstler unter Mussolini, zumindest in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, noch ein bemerkenswertes Maß an Freiheit. Viele der italienischen Künstler schlossen sich aus persönlicher Überzeugung der faschistischen Bewegung an. Formen der modernen Kunst, die unter den Nazis als “entartet” galten oder in der Sowjetunion als “formalistisch” verworfen wurden, konnten sich neben den von Mussolini bevorzugten neoklassizistischen Werken noch lange Zeit behaupten. Weil in Italien nur wenige Künstler politisch verfolgt wurden, waren viele von ihnen bereit, sich an der Verwirklichung der Idee eines neuen Imperium Romanum aktiv zu beteiligen.

Auch in der Sowjetunion konnten sich unter dem Einfluß des liberalen Kulturkommissars Anatoli Lunacharski noch bis zum Anfang der Dreißigerjahre eine Anzahl rivalisierender Gruppen von Malern, Schriftstellern, Musikern und Architekten halten. Erst 1932 wurde die totale Gleichschaltung anbefohlen. Alle formalen Experimente galten als Ausdruck von Opposition, die mit allen Mitteln unterdrückt werden mußte. Nachdem Stalin sich in den berüchtigten Schauprozessen aller politischen Rivalen entledigt hatte, fielen den anschließenden kulturellen Säuberungen auch viele Künstler zum Opfer. Nur eine sehr kleine Anzahl von Malern konnte im Verborgenen weiter arbeiten.

Das gleiche Schicksal traf auch viele der deutschen Künstler, deren Werke 1936 aus den deutschen Museen verbannt worden waren. Wer sich den rassischen, politischen und ästhetischen Vorurteilen der Nazis nicht unterwarf, erhielt zunächst Lehrverbot, dann Ausstellungsverbot und schließlich Malverbot. Viele von ihnen zogen es vor, das Land zu verlassen. Die als “entartet” geltenden konfiszierten Werke wurden in der Schweiz verkauft oder, wo dies nicht gelang, vernichtet.

Die Ausstellung der Hayward Gallery zeigt neben einer kleinen Anzahl von Arbeiten der diffamierten Künstler eine beachtliche Auswahl von Werken der offiziellen stalinistischen oder nationalsozialistischen Kunst, die sich heute fast ohne Ausnahme als leblos-schematische, verlogen-romantisierende oder pathetisch-monumentale Hohlformen erweisen, mit einem Wort als Kitsch und damit, nach der Definition von Hermann Broch, als Antikunst.

Zu den größten Verdiensten der Ausstellung gehört, daß sie den architektonischen Projekten unter den totalitären Regimes der Dreißigerjahre so viel Raum gewährt und zum ersten Mal eine Vorstellung von den gigantischen Dimensionen der städtebaulichen Vorhaben vermittelt. Die phantastischen Pläne zur gewaltsamen Umgestaltung der Hauptstädte, ihres Ausbaus zu Metropolen weltbeherrschender Imperien, lesen sich wie die Psychoprogramme megalomanischer Persönlichkeiten, die jeden Kontakt zur Realität als Potential des Verwirklichbaren längst verloren hatten.

Für die von Hitler inspirierten und von seinem Generalsbauinspektor Albert Speer ausgeführten Entwürfe zur Neuanlage der Reichshauptstadt Berlin, die später den Namen ‘Germania’ tragen sollte, hätten vier Prozent der in Berlin existierenden Straßen und Gebäude mit mehr als 54.000 Wohnungen zerstört werden müssen. Die entlang der 140 Meter breiten Nord-Süd-Achse geplanten monumentalen Bauten sollten – wie die 320 Meter hohe “große Halle” im Zentrum der Anlage – keinen praktischen Nutzen haben. Sie erfüllten ihre Funktion als pompöse Versatzstücke in einer gigantischen Selbstinszenierung der politischen Macht. Nur weil Deutschland den Krieg verlor, ist uns die Vollendung des monströsen Projekts erspart geblieben.

“Wenn der Krieg zuende ist, haben die Menschen das Bedürfnis sich zu waschen“, schreibt Neal Ascherson in einem Nachwort des Katalogs unter der Überschrift “Landschaft nach der Schlacht“. In Deutschland habe man mit der Reinigung der Sprache vom nazistischen Vokabular begonnen. In der bildenden Kunst des Westens sei lange Zeit alles Figurative verpönt gewesen. Die Architektur der unmittelbaren Nachkriegszeit habe sich “reumütig bescheiden, zweckhaft und schmucklos“ gegeben. Es habe dann freilich nicht lange gedauert, bis die Architekten in ganz Europa wieder Gebäude entworfen hätten, die den “Geist” der heute herrschenden Regimes repräsentieren sollen.

In diesem Zusammenhang müsse daran erinnert werden, daß die Idee einer gegen Politik immunen Kunst ein Mythos sei. Ascherson schließt mit der hintergründigen Bemerkung: “Für den Bereich der Kultur ist die Landschaft nach der Schlacht nur die Landschaft vor der nächsten Schlacht”.

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