die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1991
Text # 268
Autor Harold Pinter
Theater
Titel Party Time
Ensemble/Spielort Almeida Theatre/London
Inszenierung/Regie Harold Pinter
Uraufführung
Sendeinfo 1991.11.08SWF Kultur aktuell/WDR/RIAS/DS Kultur/BR 1991.12.02/SRG Basel/Nachdruck: Darmstädter Echo

Drei Jahre sind es her, seit das Londoner Nationaltheater Harold Pinters letztes Stück ‘Mountain Language’ (Bergsprache) zur Uraufführung brachte. Es war nur 20 Minuten lang und machte deutlich, in welchem Maße der Autor seinen ‘Grundthemen’ und ‘persönlichen Stilformen’ treu geblieben war und sie in den dreißig Jahren, die zwischen der Entstehung seines ersten und letzten Bühnenwerkes liegen, radikalisiert hatte.

Die für Pinter charakteristische “grausame Genauigkeit bei der Wiedergabe des Tonfalls der sich endlos wiederholenden Banalität alltäglicher Gespräche” war in ‘Mountain Language’ auf das Thema der alltäglich gewordenen, sich endlos wiederholenden Grausamkeit selbst gerichtet. Harold Pinter, der seit Jahren für Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen arbeitet, schien einen Wendepunkt erreicht zu haben, an dem sein politisches Engagement, die Empathie mit den Machtlosen, den gefolterten Opfern gewalttätiger Regime, sich nun auch in seinen Theaterstücken unmißverständlich im Klartext mitteilte. Das auch in früheren Arbeiten Pinters spürbare abstrakt Bedrohliche wurde konkret und damit erkennbar als die von Menschen geschaffene, von uns geduldete organisierte Gewalt.

Harold Pinter hat dieses Stück, das nach einer Reise in die kurdischen Gebiete der Türkei geschrieben wurde und ihm offenbar sehr wichtig ist, nun zum zweiten Mal unter eigener Regie herausgebracht und der Uraufführung seines neuesten Einakters ‘Party Time’ im Almeida Theatre vorangestellt.

Zunächst sieht es so aus, als kehre Pinter mit seinem neuen Stück in alte Jagdgründe zurück, in diesem Fall zur alltäglichen Situation einer Party im Hause eines reichen Mannes mit den zu solchen Anlässen gehörenden schrecklich banalen, scheinbar völlig belanglosen Party-Gesprächen: dem Geschwafel über den neuen Club, der alles biete, was man sich wünschen könne; über Tennis, Golf und die Wildheit der Natur im eigenen Inselparadies; mit den bekannten verlogenen Komplimenten, weiblichen Gehässigkeiten über die Rivalin und männlichem Imponiergehabe.

Es ist eine Party der sogenannten gehobenen Kreise, auf der sich Leute mit Einfluß begegnen. Hinter den harmlos eleganten, gelangweilten oder widerwärtig vulgären Fassade verbirgt sich die ökonomische und politische Macht, die ihre Interessen knallhart und gewissenlos durchzusetzen versteht. Denn draußen, vor den feinen Jalousien der hohen Fenster, auf den Straßen der, wie es heißt, heute Abend fast toten Stadt herrscht eine Art Ausnahmezustand, der nicht ausdrücklich genannt werden darf, bis auf den gelegentlich zur Beruhigung ausgesprochenen, bedrohlich klingenden Hinweis, alles laufe genau nach Plan, das Militär habe die Situation fest in der Hand und werde die kleine Störung in Kürze beseitigt haben.

Auch vordergründig noch einigermaßen harmlos wirkende Begebenheiten, wie die Schwärmerei von dem neuen Club mit den eisernen moralischen Werten oder das Verhalten eines Gangstertyps, der seiner Frau untersagt, über das Verschwinden ihres Bruders Jimmy zu sprechen, und ihr droht, er werde sie und “ihren ganzen Anhang” umbringen, bekommen vor dem Hintergrund der nicht genauer bezeichneten sinistren Vorgänge außerhalb der Party-Idylle eine andere, erschreckende Dimension.

Während die Party-Gäste sich schwadronierend und mit viel Gelächter in einen anderen Teil des hohen Raumes zurückziehen, öffnet sich geräuschlos und langsam die Eingangstür. Grelles Licht flutet herein. Ein weißgekleideter junger Mann steht auf der Schwelle, sagt “Ich hatte einen Namen, Jimmy war mein Name” und spricht von schrecklichen Geräuschen, die er manchmal noch höre inmitten der Stille, die ihn umgebe, in der Dunkelheit, die ihm von allem noch geblieben sei.

Der Dichter und Dramatiker Edward Bond meinte nach der Premiere, was sich ihm vor allem mitgeteilt habe, sei Pinters eigene Angst, mit der er, Bond, so abstrakt und unerklärt als Zuschauer wenig anfangen könne. Bond schien auf einen deutlicheren Hinweis gewartet zu haben, wer oder was uns bedroht und wie ihm zu begegnen sei. Ich selber vermute, daß Pinter erwidern würde, es komme nur darauf an, das Verhalten der Leute, die er da zeige, genau zu studieren, ihnen aufs Maul zu schauen, um zu wissen, wer und was uns bedroht. Die Gesellschaft denunziert sich selbst. Doch was zu tun sei, nun, das liege bei uns.

Nach Oben