die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1985
Text # 210
Autor Edward Bond
Theater
Titel The War Plays
Ensemble/Spielort Royal Shakespeare Company/London
Inszenierung/Regie Nick Hamm
Uraufführung
Sendeinfo 1985.07.26/SWF Kultur aktuell/RB/DLF/SR/SFB/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Schrecken eines Atomkrieges und die Sehnsucht der Menschen nach Frieden sind das große Thema dreier Stücke, die Edward Bond zu einer Trilogie mit dem Titel ‘The War Plays’ (Die Kriegsstücke) zusammengefaßt hat. Am Tag der Uraufführung des dritten und letzten Teils wurden sie erstmals gemeinsam vorgestellt, in einer Mammutsitzung, die um drei Uhr nachmittags begann und erst um Viertel vor elf Uhr nachts zu Ende ging. Es war ein Anlaß, der Konzentration, Geduld und Mitspielbereitschaft des Publikums auf eine harte Probe stellte und dem Berichterstatter, der in wenigen Stichworten beschreiben soll, was er sah, eine fast unlösbare Aufgabe setzt.

Denn trotz des gemeinsamen Themas handelt es sich bei den ‘War Plays’ um drei stilistisch durchaus verschiedene, literarisch ungleichwertige Werke, die offenbar zunächst als selbstständige Theaterstücke konzipiert waren und eigentlich auch so behandelt werden sollten. ‘Rot Schwarz und Ignorant’ ist eine Folge von neun kurzen Szenen, die uns an typischen Situationen des täglichen Lebens vor Augen führen, Wie wir miteinander umgehen und dafür sorgen, daß unsere Kinder schon in sehr jungen Jahren dazu abgerichtet werden, im Mitmenschen den Gegner zu sehen, den es zu besiegen gilt; wobei uns jedes Mittel recht sein darf. Ein Monstrum, der Geist eines ungeborenen Kindes, das noch im Mutterleib vom Atomblitz getroffen wurde, spricht aus einer imaginären Zukunft in unsere Gegenwart hinein und klagt uns an, ihm selbst und Millionen anderer Opfer im Namen der Freiheit, die wir zu verteidigen behaupten, den Tod gebracht zu haben.

Das zweite Stück mit dem Titel ‘Die Dosenmenschen’ zeigt uns eine Gruppe von Leuten, die einen Neutronenbombenangriff überlebt haben und nun, viele Jahre später, ganz allmählich wieder menschliche Züge zurückgewinnen und Hoffnung schöpfen, daß es nach der großen Katastrophe vielleicht gelingen werde, in Frieden miteinander zu leben.

Das dritte Stück mit dem Titel ‘Großer Frieden’ ist ein breit auswucherndes dramatisches Gebilde, das die Thematik eines Weiterlebens nach dem großen letzten Krieg, der uns bevorsteht, fortführt, eine endlos erscheinende, in Wahrheit fast vier Stunden andauernde Litanei des Elends von Menschen, die wie scheue schwarze Tiere in dunklen Löchern hausen, graue, zerlumpte Gestalten, die die elementarsten Gesten des mitmenschlichen Umgangs verlernt haben. Es ist die Beschreibung einer Hölle auf Erden, wodurch Edward Bond mit seinen eigenen Ängsten vor dem vorstellbaren Untergang unserer Welt fertigzuwerden versucht. Was dabei zustande kam, ist ein gewaltiger, unvollendeter dramatischer Entwurf, an dem der Autor bis in die letzten Probenwochen hinein gearbeitet haben soll, was ihn auch davon abhielt, wie angekündigt selbst als Regisseur seiner Stücke mitzuwirken.

Die Inszenierung von Nick Hamm ist so uneinheitlich wie die Texte der Stücke selbst. Man spielt auf leerer oder fast leerer Bühne, im zweiten und dritten Teil in einer großen, grau ausgeschlagenen Mulde, mit wenigen, einfachen Requisiten. Neben sehr eindrucksvollen, erschütternden Szenen von großer schauspielerischer Intensität (vor allem in der Darstellung der Frauenrollen) gibt es Passagen des Leerlaufs und der Monotonie. Die Aufführung selbst wird schließlich als Albtraum empfunden, der einfach kein Ende nehmen will.

Was der Zuschauer, der nach sieben ein halb Stunden erschöpft das Theater verläßt, mit nach Hause nimmt, sind die durch Worte und Gesten eindringich vermittelten Bilder einer Endzeitsituation und die kleinen Zeichen der Hoffnung auf einen wirklichen Frieden nach der Vernichtung der alten, schlechten Welt.

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