die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1972
Text # 47
Autor David Mercer
Theater
Titel Let’s Murder Vivaldi
Ensemble/Spielort King’s Head Theatre Club/London
Inszenierung/Regie Robert Gillespie
Uraufführung
Sendeinfo 1972.10.27/SWF Kultur aktuell/ 1972.10.28/ORF Wien/Nachdruck: Darmstädter Echo

David Mercers neues Stück ‘Lets Murder Vivaldi’ (Laßt uns Vivaldi ermorden), soeben im King’s Head Theatre erstaufgeführt, ist von der Londoner Kritik einstimmig gelobt worden. Man verglich das Stück mit Frühwerken O’Neills und Pinters ‘Liebhaber’ und sprach von einem kleinen Meisterwerk.

‘Let’s Murder Vivaldi’ ist, wie andere Stücke des Autors, aus einem Fernsehspiel hervorgegangen. Mercer stellt zwei Paare in ironischen Kontrast zueinander. Gerald und Monica, ein Ehepaar mittleren Alters in gepflegter Behausung eines respektablen Wohnbezirks – und Ben und Julie, jung und unverheiratet, in einem bescheidenen Zimmer eines Londoner Arbeiterviertels. Die Partner beider Paare sind in einen zermürbenden Kleinkrieg gegeneinander verwickelt. Doch während die Aggression sich bei Ben, dem jüngeren Mann, brutal handgreiflich entlädt, verbirgt sich bei Gerald und Monica der in langen Ehejahren gereifte Haß aufeinander hinter eleganter Fassade: Sie sind Meister in der Kunst, mit Worten zu verletzen, und sagen sich tödlich beleidigende Dinge, ohne je aus der kunstvollen Form zu fallen.

Mercers Dialoge sind in in virtuosem Stil geschrieben, der mich wegen ihrer Intelligenz, der verbalen Phantasie, dem Spaß an raffinierten Wortspielen, dem flinken, böartigen Witz an die besten Beispiele der englischen Gesellschaftsstücke und satirischen Lustspiele erinnerte.

In der Gegenüberstellung der Kampfarten erweist sich die des älteren Paares als weitaus gefährlicher, wirklich destruktiv. Nach einer verunglückten Affäre zwischen Julie und Gerald kehrt das Mädchen enttäuscht zu ihrem jugendlichen Freund zurück, bei dem sie trotz allem noch auf eine Form echter Zuneigung hoffen kann, die unter der Oberfläche von Brutalität sich erhalten hat. Die verbale Tortur, der sich Gerald und Monica über Jahre hin ausgesetzt haben, endet mit tatsächlichem Mord, während Julie und Ben – sie am Klavier, er mit der Geige – Vivaldi den Garaus machen.

Der King’s Head Theatre Club, heute unbestreitbar das beste der sogenannten Pub-Theater Londons, bietet mit der Intimität des Raums, dem engen Kontakt Zwischen den Schauspielern auf der Bühne und den an Tischen sitzenden Zuschauern geradezu ideale Bedingungen für die Konzentration auf Mercers intelligentes Kammerspiel, das unter der Regie von Robert Gillespie zu einem verdienten Erfolg kam.

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