die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1973
Text # 59
Autor Peter Shaffer
Theater
Titel Equus
Ensemble/Spielort National Theatre/ London
Inszenierung/Regie John Dexter
Hauptdarsteller Alec McCowen/Peter Frith
Uraufführung
Sendeinfo 1973.07.27/DLF Köln/Nachdruck: Darmstädter Echo

Die Uraufführung von Peter Shaffers neuem Bühnenstück ‘Equus’ am Nationaltheater in London wurde zu einem sensationellen Erfolg, zu einem Triumph für den Autor, den Regisseur und seine beiden Protagonisten, Alec McCowen und Peter Frith.

Das Stück behandelt den Fall eines 17-jährigen Jungen, der sechs Pferden, die er in einem Reitstall betreute, die Augen ausstach. Das Gericht hat den Jungen zur psychiatrischen Behandlung einem Arzt überwiesen, der den Motiven für das abscheuliche Vergehen nachforscht.

Die Bühne ist Hörsaal, Reitstall, Arena; das Publikum, das die Szene von zwei Seiten umgibt, erlebt voller Spannung, wie sich die Untersuchungsergebnisse des Arztes allmählich zum Bild einer Persönlichkeit fügen, deren zunächst unverständliche Handlungen innere Logik zu haben scheinen.

Die Mutter hat die Phantasie des sensiblen Kindes mit den sado-masochistischen Martersymbolen der Christus-Religion überfüttert; der Vater, ein altmodischer Atheist, kennt nur Strenge für seinen Sohn. Ein frühes Erlebnis, die Begegnung mit einem Reiter am Meer, der ihn aufs Pferd hob, hat dramatische Folgen: der Junge entwickelt eine abgöttische Liebe zum Pferd. Das Pferd wird zum Gegenstand religiöser Verehrung und tritt an die Stelle des Bildes vom gemarterten Jesus.

Ein Freizeitjob als Helfer in einem Reitstall gibt dem Jungen Gelegenheit, seine Verehrung von ‘Equus‘ zur totalen Liebe zu entwickeln, der er sich mit Leidenschaft hingibt. Nachts schleicht er sich in den Stall, entführt eines der Tiere und jagt mit ihm durch die Felder; nackt auf ihm reitend, erlebt er wilde Stunden höchster Glückseligkeit. Als es jedoch zur körperlichen Begegnung mit dem jungen Mädchen kommen soll, das sich in ihn verliebt hat, versagt er. Er sieht das Bild von Equus wie das eines eifersüchtigen Gottes über sich, hört den Fluch der Verdammnis zur Impotenz. In irrsinniger Verzweiflung stürzt er sich auf die Pferde und blendet sie, um ihrem Blick zu entgehen.

Der Arzt, der die Beweggründe des Jungen erforscht, wird sich immer mehr der Tatsache bewußt, daß die Behandlung, die ihn von seinen Wahnvorstellungen befreien soll, einer geistigen Kastration gleichkommt: ihm soll entgezogen werden, was sein Leben lebenswert machte, die Fähigkeit zur Vorstellung des Übernatürlichen, zur Transzendenz, der Gegenstand seiner leidenschaftlichen Verehrung, einer Liebe, um deren Potenz er den Jungen beneidet.

Wie in anderen Stücken Peter Shaffers, geht es dem Autor um die Konfrontation von Instinkt und Ratio, triebhafter Hingabe und Disziplin, und um die Frage nach dem eigentlichen Glück. Dr. Dysart, der Arzt, kann seinen Patienten von seinem Verfolgungswahn befreien. Aber es ist ihm dabei zumute, als stehe er selbst im Dunkel und schlage mit dem Eisendorn nach den Augen der Wahrheit.

In der herrlich klaren, und sentimentalen Inszenierung von John Dexter wird das Liebesverhältnis des Jungen zu seinen Pferden (hier von Männern in Silberdrahtmasken dargestellt), sein orgiastischer Nachtritt, der Kampf mit den im Schlußbild monströs erscheinenden Tieren, sowie die Begegnung mit dem am Sinn seiner Aufgabe zweifelnden Seelenarzt zum faszinierenden Erlebnis.

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