die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1989
Text # 246
Autor William Shakespeare
Theater
Titel The Plantagenets (Henry VI/Richard III)
Ensemble/Spielort Barbican Theatre/Royal Shakespeare Company/London
Inszenierung/Regie Adrian Noble/Bb. Bob Crawley
Uraufführung
Sendeinfo 1989.04.03/SWF Kultur aktuell/DLF/RIAS/RB/SRG Basel 1989.04.06/WDR/Nachdruck: Darmstädter Echo

Zum dritten Mal stellt die Royal Shakespeare Company die großen Historiendramen Shakespeares über die blutigen Erbfolgekriege zwischen den Häusern Lancaster und York als dreiteiligen Zyklus vor. In den Sechzigerjahren hatten Peter Hall und John Barton mit der Zusammenfassung der Stücke ‘Heinrich VI’ (Teil 1, 2 und 3) und Richard III unter dem Titel ‘Der Krieg der Rosen’ weltweit Aufsehen erregt. In den Siebzigerjahren brachte Terry Hands die drei Teile von Heinrich VI wieder auf die Bühne. Und zur Eröffnung der neuen Spielzeit im Barbican Theatre zeigt die Royal Shakespeare Company nun Adrian Nobles Fassung der Rosenkriegsdramen erstmals an einem Tag dem Londoner Publikum, in einer Mammutvorstellung, die am Vormittag beginnt und eine Stunde vor Mitternacht endet. Die drei Teile von ‘Heinrich VI’ wurden auf zwei Einheiten von jeweils drei Stunden verkürzt. Mit dem Stück ‘Der Tod Richards III’ findet der Zyklus seinen logischen Abschluß.

Der historische Bogen spannt sich vom Tod Heinrichs V im Jahre 1422 bis zur Krönung des Herzogs von Richmond zum König Heinrich VII 1485, mit dem der sechs Jahrzehnte andauernde, von beiden Seiten mit unbarmherziger Brutalität ausgetragene Erbfolgekrieg der nahe verwandten Häuser Lancaster und York zuendegeht.

Was man bei einer so drastischen Kürzung der Stücke (von etwa sechzehn auf neun Stunden) zunächst einmal gewinnt, ist Überschaubarkeit. Die verwickelten Zusammenhänge, der häufige Wechsel von Loyalitäten, Intrigen und Gegenintrigen, die zahlreichen Schlachten, Siege und Niederlagen, all das wirkt in der kondensierten Fassung, im Zeitraffertempo vorgestellt, nur noch halb so verwirrend. Und je klarer der Zuschauer erkennt, was wer wem und auf welche Weise antut, um so eher versteht er die Motive der anderen Personen und damit den geistigen Hintergrund dieser Geschichte vermittelnden Geschichten. Sie berichtet von unerhörten Verbrechen, von der durch grenzenlose Machtgier freigesetzten destruktiven Gewalt, von Menschen, die, um ihr Ziel zu erreichen, bedenkenlos und oft mit unvorstellbarer Grausamkeit morden und morden lassen, dabei ganze Völker ins Unglück stürzen, bis sie irgendwann selbst elend zugrunde gehen.

Adrian Noble, einer der beiden Direktoren und heute wohl der begabteste Regisseur der Royal Shakespeare Company, wäre der Mann, der das auf fünf Theater in Stratford und London verteilte Ensemble aus der seit Jahren spürbaren künstlerischen Stagnation herausführen könnte. Die besten seiner Inszenierungen zeugen für ein ausgeprägtes Gespür für bildhaftes Theater, seine Vorliebe für originelle, doch einfache szenische Lösungen und das Bemühen um möglichst klare, auf den Sinn der Texte konzentrierten sprachlichen Ausdruck. Der erste Teil seiner ‘Plantagenet’-Trilogie ist ein besonders gelungenes Beispiel einer nach solchen Kriterien entwickelten Theaterarbeit und gewiß eine der besten englischen Shakespeare-Inszenierungen der letzten Jahre.

Schon die erste Szene am Sarg Heinrichs V führt uns direkt in die Konfrontation zwischen den beiden Flügeln der durch den Tod des großen Henry herrenlos gewordenen Monarchie. Die Rollen sind verteilt, die Weichen gestellt. Danach geht es in rasenden Tempo voran, durch die Jahre des Krieges mit Frankreich bis zu den blutigen Kämpfen, in denen die Engländer sich gnadenlos selbst zerfleischen.

Bob Crawleys Bühnenbild und Chris Parrys Beleuchtung sind einfach grandios. Sie sorgen für verblüffende szenische Wirkungen: Englands Thron sitzt buchstäblich auf dem Käfig des Towers, in dem Heinrich VI und später die Opfer Richards III ermordet werden; der Dauphin und seine Begleiter galoppieren auf goldenen Pferden über die Bühne; für Heinrichs Ermordung wird das weiße Tuch, das den Boden bedeckte, in die Höhe gezogen, und riesige Blutlachen breiten sich darauf aus; das Emblem der das Haus York ‘glorreich’ beleuchtenden Sonne hängt später wie der düstere Schatten einer gewaltigen Kreissäge über der Szene.

Gegen den wirklich sehr eindrucksvollen ersten Teil fällt der zweite unter dem Titel ‘Der Aufstieg Eduards IV’ mit seinen allzu vielen kleinen Fragmenten und dem schier endlosen Gemetzel der zahlreichen Schlachten bereits merklich ab. Das dritte und letzte Stück über den Aufstieg und Tod des furchtbaren Richard wird trotz der auch hier mitunter atemberaubend schönen szenischen Einfälle vor allem wegen seines vollkommen unglaubhaften, in alberne Mätzchen verliebten, schnoddrig-ironischen Hauptdarstellers und einer Reihe anderer Fehlbesetzungen nachgerade zum Ärgernis.

Neben diesen offensichtlichen Schwächen, die man sich nicht recht erklären kann, gäbe es noch einen ganz anderen Aspekt zu bedenken. Wie alle Werke der Kunst, sind die großen Historiendramen Shakespeares natürlich auch selbst historisch bedingt. Die englische Geschichte erscheint darin als Entwicklung, die wie durch himmlische Fügung auf ein historisches Endziel gerichtet ist: die nach dem Tod des dritten Richard begründete Herrschaft des Hauses Tudor.

Zur Interpretation der Werke gehört, was man ihre ideologiekritische Durchleuchtung nennen könnte. Wegen ihres gedanklichen und poetischen Reichtums haben uns die Stücke auch nach vier Jahrhunderten noch manches zu sagen. Aber sie verlangen nach “sozial bewußter und politisch sensitiver Auslegung”, wie Adrian Noble es nennt. Doch in seiner Inszenierung der ‘Plantagenet’-Trilogie ist gerade davon nur wenig zu bemerken. Die brave Wiedergabe der nicht auch als Ideologie kenntlich gemachten tudorfreundlichen Tendenz, die den Stücken zugrundeliegt (Shakespeares unkritische Bestätigung eines bestimmten status quo), und die sozusagen kommentarlose Darstellung der in den Stücken gezeigten Greueltaten fördern leider nur die konservative pessimistische Ansicht, daß Aggressivität nun mal zur Natur des Menschen gehöre und darum alle Hoffnung auf Veränderung, alle Sorge und Mühe um den Aufbau einer menschenfreundlicheren Welt vergebens sei.

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