Der effektvolle Anfang des Stückes ließ Gutes erwarten. Eine Gruppe von Labour-Politikern wird auf der Straße von einer faschistischen Gang überfallen. Bevor Jack Beaty bewußtlos zu Boden geht, hört er die Frage: Was wäre, wenn eine sozialistische Partei morgen in England die Macht übernähme?
Es ist die Rahmenhandlung für Howard Brentons “politischen Thriller” ‘Thirteenth Night’ (Dreizehnte Nacht), den der Autor im Untertitel ‘Ein Traumspiel’ nennt. Jack Beaty hat eine Vision: Er blickt in die Zukunft, sieht, wie seine Partei zur Regierung gelangt; wie er als junger, ehrgeiziger Minister in einer Rede dazu aufruft, das sozialistische Programm (mit dem das Konzept der heutigen Labour-Partei fast nichts mehr zu tun hat) nun konsequent in die Tat umzusetzen; was hier unter anderem bedeutet, nach dem Abzug der Briten aus Nordirland und dem unilateralen Verzicht auf Atomwaffen sich aus der Abhängigkeit von Amerika, das die Hälfte des britischen Wirtschaftspotentials in Besitz genommen hat, zu befreien und zur Enteignung des amerikanischen Vermögens fortzuschreiten. “Schnallt den Gürtel enger“, heißt die Losung, “Sozialismus wird uns die Freundschaft der Dritten Welt gewinnen. Unser neuer Feind heißt Amerika”.
Die flammende Rede kommt an. Das Volk stürmt die amerikanische Botschaft, steckt sie in Brand, lyncht den Botschafter und seine engeren Mitarbeiter. “Du hast einen Geist beschworen, Beaty. Du bist der Mann der Stunde, ergreife die Macht!”, flüstern ihm Stimmen weiblicher Wesen zu, die in der Tiefgarage auf ihn lauern und ihn zum Putsch gegen seinen Premierminister veranlassen wollen, einen jovialen, doch energischen Pragmatiker, welcher der von den Aktivisten geforderten ‘Diktatur des Proletariats’ im Wege steht.
Beaty, den wir inzwischen in seiner Rolle als Macbeth einer vorstellbaren historischen Zukunft durchschaut haben, erliegt der Versuchung. Bei dem Überfall auf das Haus des Premiers, der sein Kabinett zu einer alkoholreichen Party eingeladen hatte, ergreift Beaty die Feueraxt und erschlägt seinen Boss. Der Weg nach oben ist frei. Was folgt, sind der Aufbau eines Systems der totalen Bespitzelung, Verhaftung oder Ermordung der politischen Gegner, stalinistischer Terror, der am Ende auch den Diktator Beaty selbst erreicht und vernichtet.
Wenn der Sozialist Howard Brenton das Schreckgespenst einer stalinschen Diktatur an die Wand malt, dann um davor zu warnen, daß (wie es im Stück heißt) ”wir genau das werden könnten, was wir bekämpfen“. Die Warnung wird freilich zum Bumerang, der jeden Gedanken an die Möglichkeit einer radikalen politischen Lösung von links zerschlagen könnte, die Hoffnung auf Entmachtung der Komplizen einer Hegemonialpolitik, die uns wissen läßt, es gebe wichtigeres als im Frieden zu leben, eine Politik, die zum Ausverkauf Europas geführt hat und (wie die Freunde der Friedensbewegung fürchten) uns in die unausdenkbaren Schrecken eines Atomkriegs zu stürzen droht.
Die britische Regierungspolitik sei in ihrer ‘raison d’être’ zu durchsichtig, als daß sie vom Volke verstanden werden könnte, rügte vor einigen Tagen Ex-Premier Edward Heath die heute regierenden Parteigenossen. Undurchschaubarkeit der wahren Ziele einer bestimmten Politik mag als Mittel zum Zweck ihrer Durchsetzung durchaus eingeplant sein. Der Dramatiker, der sich die Aufgabe stellt, politische Wirklichkeit zu reflektieren (was im Bereich des britischen Theaters erfreulicherweise noch immer geschieht), muß die verschleierte Wahrheit enthüllen, Zusammenhänge aufdecken, die Welt, in der wir leben, durchschaubarer machen. Gerade dies aber ist hier mißlungen. Ursachen und Wirkungen verschlingen sich im zweiten Teil des Stückes zu einem unentrinnbarem Knäuel gräßlicher Möglichkeiten, deren Konsequenzen jeden wehrlosen Bürger vor der Irrationalität politischer Vorgänge resignieren lassen müssen. Woran dem Autor Howard Brenton wohl am wenigsten gelegen sein dürfte.
Daß die Royal Shakepeare Company mit der Inszenierung von Barry Kyle eine äußerst spannende, schauspielerisch brillante Aufführung des Stückes liefert, macht die Sache für uns, das Publikum, eigentlich nur noch schlimmer.