die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1995
Text # 360
Autor Frank McGuinness
Theater/ Edinburgh Festival
Titel Observe the Sons of Ulster Marching Towards the Somme
Ensemble/Spielort Abbey Theatre Dublin/Edinburgh Festival
Inszenierung/Regie Patrick Mason
Neuinszenierung
Sendeinfo 1995.08.21/SWF Kultur aktuell/DR/WDR

Die zweite Schauspielpremiere der ersten Festivalwoche brachte die Neuinszenierung des zehn Jahre alten, inzwischen mit vielen Preisen geehrten Stückes ‘Seht wie die Söhne von Ulster an die Somme marschieren’ von Frank McGuinness. Und ich würde mich nicht wundern, wenn wir mit der aus Anlaß des Waffenstillstands in Nordirland wiederaufgenommenen Inszenierung des berühmten Abbey Theatre aus Dublin nicht bereits den herausragenden schauspieltheatralischen Höhepunkt des diesjährigen Festivals erlebt hätten.

Das Stück ist den jungen Iren gewidmet, die in den Schlachten des Ersten Weltkriegs starben. Erschütternd ist vor allem die Tatsache, daß ein irischer Katholik die auf beiden Seiten betriebene Mythologisierung historischer Fakten und die durch gegenseitigen Haß vor kurzem noch undurchdringlichen Fronten zu überwinden versucht, indem er die Soldaten der überwiegend protestantischen 36. Ulster Division, die nach ihrem Verständnis auch für den Verbleib Nordirlands im Vereinigten Königreich starben, öffentlich ehrt und ihnen ein literarisches Denkmal setzt.

Wir werden daran erinnert, dass 350.000 nord- und südirische Soldaten in den Ersten Weltkrieg zogen und von den 13.000 Mann der 36. Ulster Division 5000 auf der Strecke blieben.

Das Stück beginnt in der Gegenwart. Ein alter Mann wird verfolgt von der Erinnerung, daß er als einziger aus einer Gruppe von acht jungen Iren den Krieg überlebte. Seine Erinnerung läßt die toten Soldaten wieder erscheinen. In knappen, meisterhaft verdichteten, musikalisch-rhythmisch virtuos komponierten Dialogen lernen wir die sehr verschiedenen Charaktere der aus sechs nordirischen Grafschaften stammenden acht jungen Männer kennen, die nach anfänglichen Konflikten etwas finden, das sie verbindet und für das sie, von erlernten Vorurteilen, Haß und staatlicher Propaganda geblendet, zu sterben bereit sind.

Die in der Inszenierung von Patrick Mason mit atemberaubender Ökonomie, Präzision und Sensibilität für die poetischen Werte des Textes gesprochenen Dialoge und die Dynamik und absolute Glaubhaftigkeit der Darstellung lassen erkennen, daß das Stück viel mehr ist als ein Denkmal für die jungen Männer von Ulster: ein zutiefst bewegender Protest gegen den Wahnsinn aller Kriege, in denen die Jugend eines Volkes als Kanonenfutter stirbt, sinnlos und vergebens, wie eh und je.

Auf die Frage, ob das Stück vielleicht gerade jetzt besondere Bedeutung habe, meinte der Autor: “Ganz bestimmt, nach dem Waffenstillstand der IRA. Die Premiere des Stückes fiel in die Woche des Waffenstillstands der Loyalisten, und eine Gruppe loyalistischer Politiker kam aus dem Norden zu uns nach Dublin. Sie waren zunächst einmal sehr betroffen, daß ein Dubliner Publikum so reagieren konnte – und dann in Tränen. Das hat mich unglaublich bewegt. Es war wohl das erste Mal, daß die meisten von ihnen überhaupt nach Dublin kamen. Und ich glaube, daß sie so empfangen wurden, hat sie reicher gemacht”.

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