die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1975
Text # 96
Autor Geoff Moore/Moving Being
Theater/ Multimedia
Titel The Journal of Anais Nin
Ensemble/Spielort Roundhouse/London
Inszenierung/Regie Geoff Moore
Sendeinfo 1975.12.05/SWF Kultur aktuell

Geoff Moore und die Gruppe Moving Being sind auf der Suche nach neuen Möglichkeiten des theatralischem Ausdrucks. Durch Mischung der künstlerischen Medien wird eine Art Gesamtkunstwerk angestrebt, das die konventionelle Kommunikation zwischen Bühne und Publikum übertreffen, neue Spielräume der Phantasie auftun, ein Allround-Erlebnis schaffen soll, an dem alle Sinne teilhaben.

Die ausschweifenden Tagebücher der Anais Nin, die als Freundin bedeutender Männer und Frauen, Schriftsteller, Maler, Musiker, Tänzer und Schauspieler mit 150 Bänden in die Annalen der Kunst- und Zeitgeschichte sich einzuschreiben bemüht war, dienen der Gruppe als Sprungbrett und Rohmaterial für ihre neueste Inszenierung, die unter dem Titel ‘The Journals of Anais Nin’ soeben im Roundhouse dem Londoner Publikum vorgestellt wurde.

Im Programmheft heißt es, die Publikation der auf fünf Bände kondensierten Tagebücher habe gezeigt, daß es sich hier nicht nur um ein außergewöhnliches Stück Literatur handle, sondern auch um “ein reiches und glanzvolles menschliches und soziales Dokument“. Die Inszenierung bemühe sich um einen mehr imaginativen als dokumentarisierenden Ausdruck der Tagebücher, welche ein Leben reflektierten auf der “Suche nach Befreiung der weiblichen Seele“. Die verschiedenen Elemente der Inszenierung – Schauspiel, Tanz, Pantomime, Musik, Film, Bild-Projektionen und Video Tapes – sollen zu einer Einheit verschmelzen.

“Die Liste derer“, las man an anderer Stelle, “die zu dieser oder jener Zeit in den Tagebüchern Erwähnung finden, repräsentieren einen eindrucksvollen Querschnitt des literarischen und künstlerischen Lebens der letzten 50 Jahre“. Gewiß, das ist kaum zu leugnen, wenn von Rimbaud und Proust, Artaud und D.H. Lawrence, Henry Miller und Boris Vian, Otto Rank und André Breton, Dali und Edmund Wilson, Mary McCarthy, Gore Vidal und vielen anderen zugleich die Rede ist, die Madame Nin mehr oder weniger intim gekannt zu haben scheint.

Geoff Moore und die acht Tänzer-Schauspieler der Gruppe Moving Being haben mit unendlicher Mühe und enormem Aufwand ein multimediales Konglomerat hergestellt, das wieder einmal überzeugend beweist, daß die uralte Idee eines szenischen Gesamtkunstwerkes in eine Sackgasse führt, weil die verschiedenen Medien des Ausdrucks, die simultan auf unsere Sinne wirken, weniger zur Intensivierung des Eindrucks führen, als zur totalen Verwirrung.

Wenn die Worte der Anais Nin über Lautsprecher multipliziert oder von Tänzern mehrstimmig gesprochen werden, während choreographische Übungen nach symbolischer Verdeutlichung streben, im Hintergrund Filme über die Leinwand flimmern und links und rechts der Bühne riesige Fotos berühmter Leute erscheinen, die im Vordergrund von Schauspielern wiederum halbwegs realistisch dargestellt werden, dann versteht kein Mensch mehr, worum es eigentlich geht, und aller Aufwand scheint für die Katz.

Die Inszenierung bietet verblüffende theatralische Effekte, so unter anderem ein ebenso raffiniert ausgedachtes wie sinnloses Spiel mit einem spiralenförmig beweglichen Riesenschleier. Die Schauspieler und Tänzer zeigen bewundernswerte artistische Leistungen. Der technische Apparat arbeitet mit der Präzision eines Uhrwerks. Doch Aufwand und Erfolg sind umgekehrt proportional.

Die Betrachtungen der Madame Nin, die, wie es heißt, der Inszenierung ihren persönlichen Segen gab, wirken trivial und eitel. Die Texte der Tagebücher, so weit sie verständlich sind, geben den Eindruck einer Persönlichkeit aus zweiter Hand, Prominentenklatsch einer Dame, die sich mit fremden Federn streichelt und mit der Bekanntschaft bedeutender Leute hausieren geht. Natürlich, die Freundschaft mit Henry (gemeint ist Miller) hat einen wichtigen Stellenwert, weil sie der Phantasie keine Grenzen setzt. Artaud ist ein armer, rasender Irrer, der von zwei Weißbekittelten gewaltsam abgeführt werden muß. Zitat: “Als wir uns im Garten küßten, wußte ich, daß ich kein körperliches Verhältnis mit ihm wollte. Von Artaud geküßt werden bedeutete, in Richtung des Todes gezogen werden”.

Moving Beings Versuch der multimedialen Aufbereitung der Tagebücher von Anais Nin bringt viel Bewegung und wenig Sein. Ein Versuch mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt.

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