“Wo die Kunst ist, da ist Geld“ – so lautete der Titel eines vor kurzem in der Londoner Zeitung ‘Financial Times’ veröffentlichten Kommentars über die wachsende Bedeutung privater Sponsoren der Künste in Großbritannien. Vor zehn Jahren, hieß es dort, hätten britische Industrie- und Wirtschaftskonzerne nur £600.000 für die Künste ausgegeben, 1986 seien es schon fast £25 Millionen gewesen, und für 1987 rechne man gar mit annähernd £30 Millionen, also 90 Millionen Mark. Da ein erheblicher Teil dieses Geldes den Theatern zufließt, könnte der Eindruck entstehen, sie schwelgten in relativem Wohlstand, die Kürzung der staatlichen Subventionen betreffe sie kaum, man habe Grund, mit Optimismus in die Zukunft zu blicken.
Der Schein trügt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zukunft des britischen Theaters sieht trostlos aus. Eine im vergangenen Jahr eingesetzte unabhängige Untersuchungskommission unter der Leitung des Finanzexperten Sir Kenneth Cork ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Verfall des britischen Theaters nur durch eine fast fünfzigprozentige Erhöhung der staatlichen Subventionen aufzuhalten wäre. Bleibe sie aus, sei in fünf Jahren mit einer kulturellen Katastrophe zu rechnen.
Nationaltheater und Royal Shakespeare Company, die größten Theaterbetriebe des Landes, werden für 1987 keine Erhöhung ihrer Zuschüsse erhalten, was wegen der inflationären Entwicklung einer effektiven Kürzung der Gelder gleichkommt, die mit den Mitteln privater Sponsoren nicht auszugleichen ist. Denn Industriekonzerne sind keine selbstlosen Mäzene, sie handeln aus Eigeninteresse. Es geht ihnen um Publicity, die Promotion ihrer industriellen Produkte. Die Auswahl der künstlerischen Projekte, die sie zu fördern bereit sind, wird von werbetechnischen Überlegungen diktiert.
Peter Hall, der Generalintendant des Nationaltheaters, hat mit der möglichen Schließung von zwei der drei Bühnen gedroht. Andere Betriebe, denen die Zuschüsse gekürzt oder ganz entzogen wurden, darunter zwei anspruchsvolle Tourneetheater, haben die Arbeit bereits eingestellt.
“Die Geschichte des englischen Theaters ist eine Geschichte von zeitweisen Schüben kreativer Energie“, schreibt der Theaterkritiker John Lahr, “die einzigartige Phase theatralischer Kreativität neigt sich nach fünfundzwanzig Jahren ihrem Ende zu. Das Klima im England der Mrs. Thatcher fördert nicht die Debatte, sondern Unterwürfigkeit, nicht soziale Gerechtigkeit, sondern die Befestigung der etablierten Macht. Die Menschen sind ausgepumpt, demoralisiert und verängstigt; und das Theater hat begonnen, diese nationale Erschöpfung zu reflektieren“.
Eine Theaterkrise solcher Art trifft vor allem die nicht zum Establishment gehörenden Kreise, die sogenannten Theater am Rande, die unabhängigen Truppen und die jüngeren Autoren, deren Stücke immer seltener aufgeführt werden. Die Zahl der Lustspiele im Programm der subventionierten Theater hat sich im Laufe der letzten Jahre vervielfacht, die der Musicals etwa verdoppelt; die Zahl der Erstaufführungen neuer Stücke ist dagegen drastisch zurückgegangen, ebenso – und das ist nicht minder erschreckend – die Zahl der Aufführungen klassischer Bühnenwerke.
Das Manchester Exchange Theatre hat bekannt gegeben, es könne sich in diesem Jahr keine einzige Inszenierung eines neuen Stückes leisten. Die für ihre progressive Spielplangestaltung berühmten Londoner Theater Royal Court, Soho Poly, King’s Head und Stratford East haben die Anzahl der Inszenierungen einer Spielzeit um die Hälfte gekürzt. Wie die Cork Commission feststellte, liegen die Gagen der meisten Schauspieler nur wenig über der von der Gewerkschaft geforderten unteren Grenze von monatlich 1400 Mark brutto.
“Jeden Tag”, meint der Theaterkritiker Michael Billington, “kommen wir der ekelhaften Neonwelt des Broadway näher. Die wiederholten Kürzungen der Subventionen haben die Theater eingeschüchtert und dazu geführt, daß weniger neue Stücke gespielt werden, es feste Ensembles kaum noch gibt, eine ganze Generation radikaler Experimentatoren ausgefallen ist und Mittelmäßigkeit sich breitmacht“. Und an anderer Stelle: “Daß hier und da immer noch Außergewöhnliches geleistet wird, ist allein der Tatsache zuzuschreiben, daß Theater überwiegend von verrückten Idealisten betrieben wird, denen Kunst mehr gilt als Profit“. “Das englische Theater wird subventioniert von denen, die darin arbeiten”.