die Jahre als Londoner Kulturkorrespondent
1970 bis 2001

Jahr 1988
Text # 335
Autor Erich Fried
Autorenporträt
Sendeinfo 1988.11.23/SWF Kultur aktuell

Die Meldung vom Tod Erich Frieds erschüttert, auch wenn man darauf gefaßt war, daß irgendwann die schlimme Nachricht kommen werde. Drei schwere Operationen schien er gut überstanden zu haben. Aber er wußte, daß die Zeit für ihn knapp geworden war. Den Rat der Ärzte, die Bitten und Mahnungen der Freunde, seiner Gesundheit zuliebe sich wenigstens zeitweise etwas zu schonen, hatte er stets ignoriert. So blieb es auch, bis zuletzt.

Lange, zu lange hatte er warten müssen, bis sich Zuneigung, Respekt und Bewunderung für den Dichter und Menschen Erich Fried auch in Form der öffentlichen Anerkennung niederschlugen. Erst als man zu ahnen schien, daß er nicht mehr lange leben würde, entschloß man sich, das Versäumte nachzuholen. Und obwohl er die Flut der öffentlichen Ehrungen, die ihm in den letzten Jahren zuteil wurden, auch als bedrohliches Zeichen deuten mußte, Ausdruck der Gewißheit, daß alle Welt mit seinem baldigen Ableben rechne, hat ihn der späte Ruhm sehr glücklich gemacht. Aber auch er trug dazu bei, daß Fried die letzten Jahre, Monate und Wochen so zu leben versuchte, wir er es seit langem gewohnt war: ohne Rücksichtnahme auf die Grenzen der Belastbarkeit seines Körpers (“ich bin ja eigentlich eher zäh“, höre ich ihn noch immer sagen) auf Reisen, unter Menschen, bei Freunden.

Erich Fried wurde als einziges Kind jüdischer Eltern am 6. Mai 1921 in Wien geboren und erlebte mit überwachem Bewußtsein die turbulenten Zwanziger- und Dreißigerjahre, die wachsende politische Polarisierung, die Exzesse eines korrupten Klassensystems, Polizeiterror, Arbeiterrevolten, das Aufkommen des Faschismus. Auf der Flucht vor den Nazis, die seinen Vater ermordeten, kam Fried im Alter von siebzehn Jahren nach England. Als er vor dem Flüchtlingskomitee nach seinen beruflichen Plänen gefragt wurde, gab er zum größten Erstaunen die inzwischen berühmt gewordene Antwort, er wolle ein deutscher Dichter werden.

Von 1952 bis 1969 war Fried Kommentator des Deutschen Dienstes der BBC, einen Posten, den er aufgab, weil er die undifferenziert anti-sowjetische Propaganda, die der Sender zu jener Zeit ausstrahlte, mit seinem Gewissen nicht länger vereinbaren konnte. 1944 veröffentlichte er seine erste Gedichtsammlung unter dem Titel ‘Deutschland’, der ein Jahr später ein zweiter Band mit dem Titel ‘Österreich’ folgte. Nach vier weiteren Gedicht- und Prosabänden brachte er 1966 unter dem Titel ‘und Vietnam und’ eine Sammlung von Gedichten gegen den Vietnamkrieg heraus, die auch heute noch als eines der bedeutendsten Beispiele für politische Lyrik im zwanzigsten Jahrhundert gilt. Was anderen gern zur Tragödie sich verkläre, hieß es damals in einer Rezension des ‘Spiegel’, “das erscheint bei Fried als unmißdeutbares Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit den dazugehörigen und haftbar zu machenden Verantwortlichen und Schuldigen”.

In den meisten seiner Texte (wie auch außerhalb seiner literarischen Tätigkeit) engagierte sich Fried ohne Rücksicht auf ideologische Barrieren, Tabus und Denkklischees gegen jede Form von Unmenschlichkeit. Sein Protest gegen den Vietnamkrieg und die Atomkriegsvorbereitungen der USA, gegen die Verbrechen der CIA und ihrer Helfer, der Diktatoren in Süd- und Mittelamerika, gegen die Politik Israels und seine Unterdrückung der Palästinenser, gegen Formen der Terrorismusbekämpfung in der Bundesrepublik, gegen die unmenschliche Behandlung der Baader-Meinhof-Häftlinge sowie – auf der anderen Seite der politischen Skala – sein öffentliches Eintreten für einen mehrfach verurteilten jungen Neonazi – all dies hat dazu beigetragen, daß Erich Fried von vielen Seiten angefeindet worden ist. So kam es, daß der vermutlich meistgelesene und erfolgreichste Lyriker unserer Zeit auch zum (ich zitiere) “neben Heinrich Böll meist beschimpften deutschen Schriftsteller” wurde.

Als Fried 1983 den Bremer Literaturpreis erhielt, hieß es in der Würdigung: “Erich Fried war immer ein unbequemer Autor, unbequem gegenüber der Öffentlichkeit und unbequem gegen sich selbst. Gegen jede politische Verhärtung setzte er die Mahnung seiner Gedichte. Die Liebe zur Sprache ist für ihn immer auch Menschenliebe. Er hat den Mut, stets von vorn anzufangen, und macht jede Erfahrung zum Prüfstein seiner Lehren”.

Erich Fried, der Unbequeme, Ärgerliche, Liebenswerte mit dem unerschütterlichen, gefährlichen Glauben an das Gute im Menschen, ist tot. Gewiß, seine Texte, vor allem seine Gedichte werden bleiben. Aus ihnen wird seine Stimme weiter sprechen. Doch er selbst, der den Mut hatte sich einzumischen, wenn es darauf ankam, beim Namen zu nennen, was keiner wahrhaben will, sich stark zu machen gegen die Starken, gegen Gewalt, gegen das Unrecht, “das unmißdeutbare Verbrechen” – er wird uns fehlen.

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